Wie die Psychologie den Generationenübergang beeinflusst
von Redaktion,
Aus Teil 1 der Serie war zu entnehmen, dass auf dem Gebiet der Unternehmensnachfolge vier Fachgebiete ineinander greifen: Betriebswirtschaftliche, juristische, steuerliche und psychologische Aspekte verleihen einem Generationenübergang ein hohes Maß an Komplexität. Gerade die psychologischen Aspekte führen nach der Erfahrung aus dem Berater-Alltag des Verfassers regelmäßig zu Konflikten, Verschleppungen oder gar dem Scheitern einer Nachfolge.
Rund 25 Prozent aller Nachfolgen scheitern in den ersten fünf Jahren. Bei genauerem Hinsehen liegen die Gründe zum größten Teil bei den beteiligten Menschen selbst, also bei der alten und/oder neuen Unternehmensführung. Aufgrund ihrer hohen Relevanz im Nachfolgeprozess befasst sich die vorliegende Ausarbeitung mit zentralen psychologischen Aspekten der Nachfolge.
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Der Generationenübergang gehört zu den großen Ereignissen im Familienunternehmen. Denn im Gegensatz zu managementgeführten Unternehmen wird die Position der Unternehmensleitung regelmäßig über einen langen Zeitraum von ein- und derselben Person besetzt. Umso gravierender ist das Ereignis des Generationenwechsels mit all seinen psychologischen und soziologischen Folgeerscheinungen. Denn dies lässt sich in Familienunternehmen aller Größen und Branchen regelmäßig beobachten: Die Übergabe innerhalb der Familie birgt eine enorme emotionale Sprengkraft.
Unterschiedliche Vorgänger- und Nachfolger-Charaktere
Ein Grund dafür kann darin bestehen, dass beim Generationenübergang immer wieder völlig unterschiedliche Charaktere aufeinander treffen, welche sich in ihren Werthaltungen, Interessen und Handlungsmustern sehr stark unterscheiden. Grafik 1 systematisiert unterschiedliche Vorgänger- und Nachfolger-Typen und stuft die Stimmigkeit der einzelnen Konstellationen ein. Nachfolgend werden die einzelnen Persönlichkeitstypen in kompakter Form beschrieben:
Vorgänger-Typologie
Der emotionale Erfolgsunternehmer zeichnet sich gemäß der vorliegenden Typologie in erster Linie durch intuitives Handeln aus. Die Analyse von Zahlenmaterial und Statistiken liegt ihm eher fern. Dennoch liegt er mit seinen Entscheidungen meistens richtig.
Ganz im Gegensatz dazu zieht der entscheidungsfreudige Macher als erstes umfangreiches Daten- und Zahlenmaterial heran, trifft seine Entscheidungen auf Basis dieser Informationen dann sehr schnell und handelt umgehend.
Der übermächtige Netzwerker verfügt über vielfältigste Kontakte, welche er Gewinn bringend für sein Unternehmen einzusetzen versteht.
Dagegen steht für den umtriebigen Verkäufertypus der Markt mit den Kunden seines Unternehmens im Mittelpunkt seines Denkens, während er die internen Belange seines Unternehmens wie organisatorische Aspekte eher vernachlässigt.
Völlig konträr dazu liegen die Werthaltungen des verspielten Technikers, welcher sich eigentlich lieber mit seinem Produktportfolio als mit den Bedürfnissen seiner Kunden befasst.
Der technokratische Verwalter verwirklicht sich in der Verfassung schriftlicher Leitfäden und Handlungsanweisungen. Somit bevorzugt er es, sein Unternehmen vornehmlich über Richtlinien und Dokumente zu führen.
Der gelassene Delegierer hat sein Unternehmen effizient organisiert und bringt das nötige Vertrauen mit, um sich durch Delegation den nötigen Freiraum für die Lösung der zentralen strategischen Aufgabenstellungen zu schaffen.
Dagegen kann oder will der klammernde Patriarch die Führung des Unternehmens am liebsten niemals in andere Hände geben. Den optimalen Zeitpunkt für den Generation-Übergang hat er bereits seit langem verstreichen lassen und sieht sich nicht selten mit dem Problem konfrontiert, dass geeignete Nachfolger auf einmal nicht mehr zur Verfügung stehen.
Nachfolger-Typologie
Auf der Seite der Nachfolger zeichnet sich der lernwillige Beobachter durch seine ausgeprägte Motivation aus, sich in sämtliche Aufgabenstellungen als Unternehmer effizient einzuarbeiten. Dabei plant er sorgfältig und verfügt verfügt über ein realistisches Selbstbild im Hinblick auf das aktuelle Niveau seiner Fähigkeiten.
Dagegen fällt es dem ungeduldigen Macher schwer, auf den Zeitpunkt zu warten, an dem ihm die Verantwortung für das Unternehmen übertragen wird.
Der konzeptionelle Gestalter entwickelt komplexe, aber auch konkrete Konzepte, wie das Familienunternehmen nach seinen Vorstellungen in Zukunft umgestaltet werden soll.
Der visionäre Impulsgeber ähnelt dem Nachfolgertypus des konzeptionellen Gestalters, wobei sich seine Gedankengebäude auf einer abstrakten Ebene bewegen, so dass unklar bleibt, wie seine Visionen in die Realität umgesetzt werden sollen. Typischerweise tritt dieser Nachfolgertypus als branchenfremder in die Unternehmensleitung ein.
Dagegen sieht der distanzierte Genießer das Unternehmen als „Vehikel“, um seine finanziellen und gesellschaftlichen Interessen zu erreichen. Allzu stark ausgeprägte unternehmerische Ambitionen liegen ihm eher fern.
Schlussfolgerungen aus der Vorgänger- und Nachfolger-Typologie
Alle geschilderten Vorgänger- und Nachfolger-Charaktere sind von einer übergeordneten Perspektive in ihrer Individualität und Unterschiedlichkeit wertneutral zu sehen und zu respektieren. In der Praxis werden regelmäßig auch „Mischtypen“ anzutreffen sein, welche unterschiedliche Merkmale der beschriebenen Charaktere in einer Person vereinbaren. Grundsätzlich aber leuchtet es ein, dass gewisse Vorgänger- und Nachfolger-Typen relativ gut miteinander harmonieren, während andere Konstellationen von vorneherein als problematisch anzusehen sind.
So harmoniert laut Grafik 1 der Vorgänger-Typus „umtriebiger Verkäufer“ recht gut mit dem Nachfolger-Typus „Ungeduldiger Macher“ (Bewertung dieser Konstellation durch „grünes Plus-Zeichen“). Dagegen sind Konflikte vorprogrammiert, wenn der Nachfolger-Typus „ungeduldiger Macher“ auf den Vorgänger „klammernder Patriarch“ trifft (Kennzeichnung durch „roter Stern“). Andere Konstellationen wie beispielsweise „Gelassener Delegierer“ und „Distanzierter Genießer“ ermöglichen eine „friedliche Koexistenz“ (Bewertung durch „A“).
Neben unterschiedlichen Charakteren treffen im Nachfolgeprozess aber auch vollkommen unterschiedlich geprägte Generationen aufeinander: Die in den letzten Kriegsjahren geborenen wurden in den Jahren des Wirtschaftswunders „auf Leistung getrimmt“,während die Generation Y, welche in den vergangenen Jahrzehnten aufwuchs, zum Teil durch ganz andere Werte wie beispielsweise „Work-Life-Balance“ und eine stärkere Freizeitorientierung geprägt ist.
Nachfolge-Organisationsmodelle zur Konfliktvermeidung
Gerade dann, wenn sich eine problematische Vorgänger-Nachfolger-Konstellation beim Generationenübergang ergeben hat, so besteht ein möglicher Ausweg in der Installation einer nachfolgefähigen Unternehmensorganisation. Die Zielsetzung besteht darin, die Strukturen und Abläufe im Unternehmen so zu gestalten, dass sie mögliche Konflikte entschärfen und zu einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten bzw. das Unternehmen führen. Folgende organisatorische Gestaltungsoptionen sind in der Praxis möglich, wenn Vorgänger und Nachfolger über einen definierten Zeitraum gleichzeitig im Unternehmen tätig sind:
Assistenzmodell
Mitgliedschaft des Nachfolgers auf der zweiten Führungsebene
gemeinsame Geschäftsführung von Vorgänger und Nachfolger
Beiratsmodell
Bei Wahl des Assistenzmodells nimmt der Nachfolger eine beobachtende Perspektive ein: Ohne bereits selbst in die unternehmerische Gesamtverantwortung eingebunden zu sein, begleitet er alle Entscheidungen und Aktivitäten des Vorgängers. Der Vorteil dieses Organisationsmodells liegt darin, dass der Nachfolger bei noch fehlender Entscheidungs- und Führungserfahrung an anspruchsvolle Aufgaben und Projekte herangeführt werden kann. Andererseits besteht das Risiko, dass der Nachfolger zum „ewigen Kronprinzen“ wird, was seine Autorität bei Geschäftspartnern und Mitarbeitern schmälert. Somit empfiehlt sich das Assistenzmodell nur in Kombination mit einer klar festgelegten zeitlichen Begrenzung.
Im Rahmen der Tätigkeit auf der zweiten Führungsebene wird der Nachfolger bereits von Anfang an in die Verantwortung eingebunden, allerdings ohne die unternehmerische Gesamtverantwortung zu übernehmen. Somit besteht die Möglichkeit, begrenzte, fachbezogene Verantwortung zu tragen und gleichzeitig die in unternehmerischer Gesamtverantwortung handelnden Personen aus geringer Distanz beobachten zu können. Die Wahl dieses Organisationsmodells setzt praktische Kenntnisse des Nachfolgers in dem Unternehmensbereich voraus, innerhalb dessen er tätig werden möchte. Risiken bestehen in einer mangelnden Akzeptanz durch andere Führungskräfte der zweiten Ebene oder durch den Vorgänger in der unternehmerischen Gesamtverantwortung.
Bei der Wahl der gemeinsamen Geschäftsführung durch Vorgänger und Nachfolger gibt der Vorgänger für alle sichtbar einen Teil seiner Gesamtverantwortung an den Nachfolger ab. Dieses Organisationsmodell setzt eine entsprechende berufliche Erfahrung des Nachfolgers voraus, um von einer allgemeinen Akzeptanz der von ihm getroffenen Entscheidungen ausgehen zu können.
Im Beiratsmodell verlässt der Vorgänger gleichzeitig mit dem Eintritt des Nachfolgers die operative Unternehmensleitung und scheidet damit offiziell aus dem Tagesgeschäft aus. Hinsichtlich der Verteilung der unternehmerischen Verantwortung erfolgt durch die Wahl des Beiratsmodells nach innen und außen hin ein „klarer Schnitt“. Damit vereint das Beiratsmodell zwei Vorzüge: Erstens bleibt dem Nachfolger die Erfahrung des Vorgängers erhalten. Zweitens hat der Vorgänger die Möglichkeit, direkt aus der unternehmerischen Verantwortung und schrittweise aus seinem Unternehmen auszusteigen. Damit kommt dieses Organisationsmodell gerade jenen entgegen, bei denen die unternehmerische Tätigkeit in der Vergangenheit den Mittelpunkt des Lebens markierte.
Empfehlung für Vorgänger und Nachfolger
Unabhängig von der Wahl des Organisationsmodells gilt: Für den Nachfolger ist es empfehlenswert, vor der Übernahme Kompetenz, Wissen und Erfahrung in möglichst vielen anderen Unternehmen zu sammeln. Dies erhöht die allgemeine Akzeptanz, aber auch die eigene Selbstsicherheit und ist somit als eine wichtige Grundlage für einen guten Start im elterlichen Unternehmen anzusehen. Der Vorgänger erleichtert seinem Nachfolger den Einstieg, indem er den erforderlichen Gestaltungsfreiraum gewährt und dessen allgemeine Akzeptanz unterstützt.
ist als Diplomkaufmann und Augenoptikermeister seit über fünfzehn Jahren als Unternehmensberater in den Gesundheitsbranchen des Einzelhandels tätig. Er ist Inhaber einer Beratungsgesellschaft und leitet Erfa-Gruppen. Einer seiner Beratungsschwerpunkte ist die Nachfolgeberatung inklusive Errechnung des Unternehmenswertes.
In dieser sechsteiligen eyebizz-Serie schreibt er über zentrale Aspekte der Nachfolgeplanung. Kontakt: beratung@medelnik.com