Fast 14 Jahre lang war Thomas Truckenbrod an der Spitze des ZVA, Mitte März übernahm sein bisheriger Vizepräsident Christian Müller das Ruder. Im eyebizz-Interview erklärt der gebürtige Sauerländer, was ihm für Branche und Verband wichtig ist und welchen Stellenwert Nachhaltigkeit hier hat.
eyebizz: Herr Müller, als Sie sich 1986 gemeinsam mit Ihrer Frau selbstständig machten und Saarner Optik in Mülheim an der Ruhr übernahmen, waren Sie erst Ende 20. War das nicht ein Risiko?
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Christian Müller: Lassen Sie mich kurz ausholen! Augenoptiker bin ich über Umwege geworden. Mit meinem Realschulabschluss in der Tasche wollte ich Feinwerktechnik studieren. Da riet man mir, eine Ausbildung zum Augenoptiker zu machen, mit der Begründung, Feinoptiker wären häufig gelernte Augenoptiker und der Beruf des Augenoptikers werde immer gebraucht. Zudem wäre es für mich dann leichter, während der Semesterferien einen Job zu finden.
In Attendorn im Sauerland machte ich dann meine Ausbildung. Mir machte der Beruf sofort Spaß, besonders begeisterten mich die Möglichkeiten der Optometrie, so die ersten mechanischen Refraktometer und der Blick in das Auge. Die Optometrie hat mich am Beruf fest angebunden. Später besuchte ich die Höhere Fachhochschule für Augenoptik in Köln, drei Jahre später dann der Schritt in die Selbstständigkeit. Das war für meine Frau (auch staatl. gepr. Augenoptikerin) und mich selbstverständlich, denn nur in Selbstständigkeit kann man seine Ideen verwirklichen und ohne äußere Beeinflussung umsetzen.
Um Ihre Frage zu beantworten: Das Risiko war natürlich da. Fielmann und Apollo Optik waren bereits bundesweit etabliert. Doch wir schlugen einen anderen Weg ein, nannten uns bewusst: „Institut für Contactlinsen und Optometrie“.
Bleiben wir bei der Optometrie. Sie sagen „Deutschland hat hier Nachholbedarf“. Können Sie das erläutern?
Deutschland war in der Vorkriegszeit beim Thema Optometrie führend mit seiner Jenaer Schule und der Lichtgestalt Hermann Pistor. In den alten Fachbüchern von Pistor findet man Abschnitte, in denen genau erklärt wird, wie der Augenspiegel in der augenoptischen Praxis zu gebrauchen ist. All das war selbstverständliches Thema eines guten Augenoptikers.
Heute ist die Optometrie in einigen Ländern weiterentwickelt als in Deutschland, etwa in Großbritannien. Doch ein Markt, in dem es keine niedergelassenen Augenärzte gibt wie in UK, lässt sich nicht mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichen, wo wir eine sehr gute augenärztlichen Versorgung haben, sofern wir die Augenärzte entlasten. Immer noch oft genug gehen Menschen zum Augenarzt, um am Ende zu erfahren, dass sie neue Glasparameter benötigen, alles andere hingegen in Ordnung ist. Das belastet das Gesamtsystem. In Zukunft werden wir unsere optometrischen Qualitäten in der Ausbildung noch mehr verfeinern und besser machen müssen. Aber dazu bedarf es des Gesprächs mit der ärztlichen Zunft und auch deren Einsicht, dass wir das übernehmen können.
Ist da Bewegung drin?
Wir haben noch Gesprächsbedarf, doch bin ich optimistisch, weil ich mit verschiedenen Entscheidungsträgern im Berufsverband der Augenärzte persönlich gesprochen habe, ohne Vorurteile und auf Augenhöhe. Ich hoffe, dass wir in den nächsten drei Jahren, in denen ich gewählt bin, zuerst die Dinge anpacken, in denen wir gemeinsam nach vorne gehen können und müssen. Diskrepanzen wird es weiterhin geben. Man werfe nur einen Blick in die USA: Beim Thema Optometrie gerieten die Berufsstände dort ähnlich scharf aneinander, doch es hat sich dort gut entwickelt.
Sie sind als Präsident des ZVA frisch im Amt. Wo setzen Sie Ihre Akzente?
Besonders am Herzen liegt mir das Thema Weiterbildung und die Notwendigkeit, ein einheitliches System der Weiterbildungsbeurteilung zu finden, das von allen Fachverbänden anerkannt wird. Voraussetzung zur Spezialisierung ist Weiterbildung und Praxiserfahrung. Die Krankenkassen fordern hier von Augenoptikern immer mehr. Wer Speziallinsen anpasst oder Low Vision anbietet, soll eine bestimmte Anzahl an Weiterbildungen und Versorgungen nachweisen. Wir als Unternehmerverband können Berufsanfänger in der Augenoptik, die im Gegensatz zu jungen Ärzten eben keine klinische Praxis im Vorfeld haben, hier nicht ausschließen.
Deshalb müssen wir bei diesem Thema mit den einschlägigen Fachverbänden zu einer vernünftigen Einigung kommen. Gelingt uns das nicht, kann es passieren, dass wir eine Regelung vom Staat übergestülpt bekommen, die im schlimmsten Fall alles andere als praxisnah ist, mit Sicherheit aber sehr teuer wird.
Im aktuellen ZVA-Branchenbericht ist zu lesen: 2022 hatte die Augenoptik 7.009 Auszubildende, 2021 waren es 7.444, in den Jahren davor noch mehr. Beunruhigt Sie das?
Nein. Teilweise sind die Zahlen Corona geschuldet. Im Handwerk sind wir einer der Berufe mit der höchsten Ausbildungsquote. Dass wir in der Ausbildungsphase hohe Ausfallquoten haben, ist anderswo auch so. Trotzdem haben wir ein Problem: Es scheren zu viele ausgebildete Augenoptiker aus dem Beruf aus. Wenn wir alle ausgebildeten Augenoptiker im Beruf halten würden, hätten wir auch keinen Fachkräftemangel.
„Wir bekommen zu wenig vermittelt, wie attraktiv unser Beruf ist“
Anscheinend bekommen wir nicht vermittelt, dass unser Beruf wirklich attraktiv ist, gerade weil er so vieles umfasst: Ich habe mit Menschen, mit Maschinen, mit Gesundheit zu tun. Es kann nicht jeder in all diesen Bereichen der perfekte Champion sein. Aber ich muss jedem Auszubildenden zeigen, was seine spezielle Begabung ist und ihn darin bestärken und nach vorne ziehen. Natürlich muss alles andere auch erlernt werden.
Sind Bezahlung oder Arbeitszeiten Faktoren, die Ausgebildete daran hindern, sich ganz auf den Beruf einzulassen?
Wir können kein Homeoffice anbieten, doch wir müssen flexiblere Arbeitszeitmodelle entwickeln. Ich sehe das in meinem eigenen Betrieb: Ich möchte meine Mitarbeiter, trotz vielleicht veränderter Lebenssituation, weiter beschäftigen, dann eben mit Halbtagsstelle. Da versucht man die Mitarbeiterin nach dem Mutterschutz wieder mit hineinzunehmen und auch das Kind im Hintergrund mit zu berücksichtigen. Oder man ist bereit, die Arbeitszeit wieder zu verlängern, wenn familiäre Verpflichtungen wegfallen. Ich glaube, das ist die Zukunft: Nicht nur der Kunde, auch der Mitarbeiter ist König.
Was die Bezahlung betrifft, ist die Situation regional sehr unterschiedlich. Ein Augenoptikermeister oder Optometrist, der hier im Rheinland eine Stelle sucht, verdient mittlerweile genauso viel wie ein junger Maschinenbauingenieur.
Eine andere Zahl aus dem Branchenbericht: Die zehn umsatzstärksten Unternehmen, sprich Filialisten, machen zum ersten Mal mehr als die Hälfte des gesamten Branchenumsatzes. Die Entwicklung wird sich wohl noch fortsetzen. Muss der Verband hier gegensteuern?
Jein. Wenn ich junge Meisterinnen und Meister höre, und viele sagen „Ich will mich nicht selbstständig machen“, dann führt das dazu, dass der Anteil der Filialisten zunimmt. Viele scheuen das Risiko oder erwarten, dass jemand anderes ihnen das Geschäft aufbaut.
Jedoch: Ich kenne genügend Kollegen in meinem Alter, die gerade versuchen, ihren Betrieb zu veräußern, aber bei ihren eigenen Mitarbeitern keinen Käufer finden. Dann ist es nur zu begrüßen, wenn ein Kollege diesen Betrieb übernimmt, die Arbeitsplätze sichert und sein Unternehmen um diese Filiale erweitert. Das müssen wir akzeptieren.
„Nur in der Selbstständigkeit kann die eigene unternehmerische Freiheit stattfinden.“
Die andere Seite der Medaille aber ist: Wir müssen mehr Werbung für Selbstständigkeit machen. Ich kann jungen Augenoptikermeistern heute nur empfehlen, diesen Schritt zu wagen. Klagt nicht immer darüber, dass der Markt eng ist! Der Umstand, dass derzeit so viele kapitalorientierte Firmen in die Augenoptik investieren, ist ein Beweis dafür, dass wir immer noch eine Branche sind, in der man überleben kann.
Nur in der Selbstständigkeit kann die eigene unternehmerische Freiheit stattfinden. Gerade junge Optometristen sollten dies bedenken, so könnten beispielsweise zwei Kommilitonen gemeinsam eine optometrisch-augenoptische Praxis gründen, oder eine vorhandene weiterentwickeln.
Wie sehr beschäftigt das Thema Nachhaltigkeit den Verband?
Wir haben das Thema im betriebswirtschaftlichen Ausschuss mehrfach behandelt, die letzte Sitzung hatte überwiegend Nachhaltigkeit zum Thema. Wir sind dabei, hier Angebote für unsere Mitarbeiter oder Mitgliedsbetriebe zu entwickeln. Bislang wurde in einem Workshop eine Bestandsaufnahme der bereits eingesetzten nachhaltigen Maßnahmen gemacht. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Augenoptiker in allen Bereichen – also Ökologie, Ökonomie und Soziales – vielfältige Mittel einsetzen. Der ZVA wird für seine Mitglieder und Mitarbeiter hierzu Informationen bereitstellen.
Ich selbst gehöre zu der Generation, die vor 40 Jahren vom Club-Of-Rome-Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ richtiggehend wachgerüttelt wurde. Wenn wir das Thema Nachhaltigkeit jetzt verstärkt in die Branche hineinnehmen, und wir werden das, weil das Thema wichtig ist, dann müssen wir alle vier Aspekte berücksichtigen, die in den 90ern als Säulen der Nachhaltigkeit genannt wurden: Mensch und Ökologie, Soziales und Wirtschaft. Die wirtschaftlichen Bedingungen für unsere Unternehmen gleichzuhalten, ist dabei die primäre Grundaufgabe des Verbandes.
Wir müssen aber auch darüber nachdenken, unter welchen Bedingungen Brillengläser, Fassungen und Kontaktlinsen hergestellt werden.
Heißt das, die Augenoptiker können gar nicht so viel machen, in erster Linie ist die Industrie gefordert?
Die Nachhaltigkeit macht jeder Unternehmer selbst. Die Handwerkskammern bieten hier gute Schulungen an, die kostenlos besucht werden können. Auch gibt es Programme für eine nachhaltige Betriebsführung, die sich Augenoptiker herunterladen können, um ihr Geschäft danach zu beurteilen und zu sehen, an welchen Stellschrauben Verbesserungen möglich sind. All das kann ich wirklich nur dringend empfehlen.
Ich als angestellte Augenoptikermeisterin und Optometristin FH freue mich, daß nach jahrelangem Stillstand für uns Angestellte jetzt vielleicht endlich was passieren könnte. Die Reallöhne sind in den letzten 20 Jahren für uns nur gesunken. Auf einen Lohnvorschlag für die Zusatzqualifikation Optometrist warte ich seit Jahren. Und wenn ständig von Weiterbildung gesprochen wird, sollte man vielleicht mal über ein qualifikationsabhängiges Gehalt für alle nachdenken. Auch für Gesellen, die häufig mehr leisten als in der Tariftabelle steht. Und wenn dann noch ein paar unrentable Geschäfte und die Ketten, die keine Meisterpräsenz vorhalten, schließen? Dann hätten wir vielleicht gar keinen Fachkräftemangel mehr und für den Rest bliebe mehr vom Kuchen. Auch das unsägliche Thema Fachverkäufer wäre dann vielleicht vom Tisch.
In der Öffentlichkeit wünschte ich mir eine deutlichere Aussage darüber, was so eine Fachkraft in der Augenoptik leisten kann. Mit der plumpen Aussage “einmal im Jahr zum Optiker” bringt man unsere Leistungen keineswegs rüber. Optiker? Laut Duden ein Hersteller oder Verkäufer von Brillen und optischen Geräten. Also ein Brillenverkäufer. Uns so sieht uns die Öffentlichkeit tatsächlich auch. Ich würde mich freuen wenn die neue Riege beim ZVA da entscheident etwas ändert. Ich bin gespannt und in freudiger Erwartung.
Mit freundlichen Grüßen, Nicole Schellhorn
Ich als angestellte Augenoptikermeisterin und Optometristin FH freue mich, daß nach jahrelangem Stillstand für uns Angestellte jetzt vielleicht endlich was passieren könnte. Die Reallöhne sind in den letzten 20 Jahren für uns nur gesunken. Auf einen Lohnvorschlag für die Zusatzqualifikation Optometrist warte ich seit Jahren. Und wenn ständig von Weiterbildung gesprochen wird, sollte man vielleicht mal über ein qualifikationsabhängiges Gehalt für alle nachdenken. Auch für Gesellen, die häufig mehr leisten als in der Tariftabelle steht. Und wenn dann noch ein paar unrentable Geschäfte und die Ketten, die keine Meisterpräsenz vorhalten, schließen? Dann hätten wir vielleicht gar keinen Fachkräftemangel mehr und für den Rest bliebe mehr vom Kuchen. Auch das unsägliche Thema Fachverkäufer wäre dann vielleicht vom Tisch.
In der Öffentlichkeit wünschte ich mir eine deutlichere Aussage darüber, was so eine Fachkraft in der Augenoptik leisten kann. Mit der plumpen Aussage “einmal im Jahr zum Optiker” bringt man unsere Leistungen keineswegs rüber. Optiker? Laut Duden ein Hersteller oder Verkäufer von Brillen und optischen Geräten. Also ein Brillenverkäufer. Uns so sieht uns die Öffentlichkeit tatsächlich auch. Ich würde mich freuen wenn die neue Riege beim ZVA da entscheident etwas ändert. Ich bin gespannt und in freudiger Erwartung.
Mit freundlichen Grüßen, Nicole Schellhorn