Was haben Luxuskoffer-Spezialist Rimowa, das Kaschmir-Mode-Label Bruno Cucinelli und die schwedische Uhrenmarke Daniel Wellington gemeinsam? Alle drei lancierten in den letzten Jahren Brillen-Kollektionen, um das eigene Produktsortiment zu erweitern und mehr Umsatz zu generieren. Rüdiger Oberschür beleuchtet dieses Phänomen der horizontalen Diversifikation.
Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass Mode- und Lifestyle-Marken Eyewear-Kollektionen führen – vor allem im Luxusbereich. Von Dior bis Gucci, Armani bis Burberry oder Chanel gibt es seit Jahrzehnten auch Brillen – neben Kosmetik, allen voran Parfüms, die am häufigsten gewählte Lösung für ein sogenanntes „Brand Stretching.“ Gemeint ist die Übertragung eingeführter Brands auf neue Produktkategorien.
Anzeige
Der Transfer macht oft Sinn. Denn wozu neue Marken erfinden, wenn sich ein bereits vorhandenes Image noch weiter ausschlachten lässt? Das mindert Risiken und Investitionen. Denn ein Imageaufbau ist teuer. In einer reizüberfluteten Konsumwelt fällt es zudem immer schwerer, Aufmerksamkeit zu erzielen und Botschaften zu vermitteln. Ableger können von Bekanntheit und Ausstrahlung der Muttermarke profitieren und sich dadurch schneller am Markt etablieren.
Vom Reisegepäck zur Sonnenbrille
Beispiel Rimowa. Der Kölner Luxuskoffer-Spezialist („Richard Morszeck Warenzeichen“) brachte im Sommer 2020 erstmals eine Brillen-Kollektion auf den Markt, die vom ikonischen Reisegepäck des Hauses inspiriert wurde: Das Design ist minimalistisch, leicht und unisex und gibt sich ebenso exklusiv.
Für das 1898 gegründete Traditionsunternehmen, das 2018 zu 80 Prozent von der Luxusgütergruppe LVMH übernommen wurde, erwies sich die Markendehnung auch aufgrund der Corona-Pandemie als glückliche Fügung. Wenn die Menschen aufgrund der Reisebeschränkungen schon zu Hause bleiben mussten und keine Koffer benötigten, konnten sie wenigstes am Balkon mit einer schönen neuen Sonnenbrille einen Hauch Urlaubsfeeling erleben und dabei dem Hause Rimowa treu bleiben.
Werkstoff als Markenidentität
Besonders bestechend ist Markendehnung bei der Übertragung eines Werkstoff-Konzepts. So produziert das 2013 gestartete Label Stadtholz von Christian Puzik und Tobias Martin neben Uhren, Fliegen und Handyhüllen später auch Brillen – alles aus Holz. Die von Puzik entworfenen Fassungen sind aus mehreren Schichten gefertigt (Furnierbauweise) und werden weder geklebt noch verleimt.
„Die Erweiterung des Stadtholz-Portfolios um Brillen ergab sich aus unserer Spezialisierung, wir kommen ja aus dem Holzbereich“, erzählt Puzik. Das bot die Möglichkeit, die eigene Markenidentität zu stärken, die deutlich auf Nachhaltigkeit abzielt, ganz unabhängig vom Produkt.
Puzik weiter: „Uhren und Fliegen sind mit unseren Mitteln relativ leicht umsetzbar, Brillen aufwendiger. Wir wollen unseren Kunden, die nicht nur Augenoptiker*innen sind, sondern auch Endkunden, ein besonderes Erlebnis bieten mit rundum ökologischen Produkten.“ Auch für den Aufbau des Onlineshops hätte sich dieser Schritt gelohnt. Über eine Lizenz-Partnerschaft hat Puzik auch nachgedacht. Im Moment fehlten dafür die Kapazitäten, der Gedanke gefalle ihm aber.
Ein triftiger Grund für Mode- und Lifestyle-Marken, eine Brillen-Kollektion zu lancieren, ist oft genug der Wunsch oder gar die Notwendigkeit, mehr zu wachsen. Manchmal kann im ursprünglichen Produktsegment kein weiterer Umsatz mehr generiert werden. Hersteller, die ihre Marke in Richtung Eyewear dehnen möchten, können mit etablierten Brillen-Produzenten kooperieren, Lizenz-Partnerschaften eingehen oder eine eigene Produktentwicklung anstoßen.
Win-win-Situation für Hersteller und Händler
Die fränkische Schmuckmarke Thomas Sabo entschied sich 2019 für letzteres. Die Eyewear-Kollektion wird von Creative Director Aurore Melot und ihrem Team sowie Firmengründer Thomas Sabo am Firmenhauptsitz in Lauf an der Pegnitz entworfen.
„Schmuck und Uhren gehören zur Mode und sind mehr als ein Fashion-Statement. Sie sind ein Blickfang genauso wie Sonnenbrillen. Daher war es eine logische Konsequenz, unser Sortiment damit zu erweitern. Mit unseren Sonnenbrillen hat die Marke noch mehr Sichtbarkeit. Diese Stärke schafft Umsatz für uns und unsere Händler. Eine Win-Win-Situation für alle“, erklärt Oliver Besta, Director Wholesale Global bei Thomas Sabo, gegenüber eyebizz.
Seit der Markteinführung sei das Händlernetz kontinuierlich gewachsen: „Wir haben eine sehr gute Mischung in der DACH-Region bestehend aus starken Augenoptiker*innen und Juwelieren . Resonanz und Abverkauf unserer Kollektion sind sehr gut, sodass wir den Vertrieb nun international ausbauen.“ Das Sortiment ist in über 160 Retail-Stores von Thomas Sabo erhältlich.
Designtransfer von der Uhr zu Brillen
Wie sich mit Brillen ein erfolgreiches Produktportfolio sinnvoll erweitern lässt, zeigt aktuell auch Daniel Wellington. Die schwedische Uhrenmarke, die sieben eigene Läden in Deutschland betreibt, ist in diesem Jahr mit einer ersten Kollektion gestartet.
„Die Erweiterung in die Brillen-Kategorie ist Teil unserer strategischen Produkterweiterung auf unserer Mission, eine weltweit führende Accessoire-Marke zu werden. Indem wir eine breite Produktpalette anbieten, die auf unterschiedliche Bedürfnisse der Verbraucher eingeht, stellen wir sicher, dass jeder, der möchte, Daniel Wellington tragen kann“, erklärt CEO Johan Johansson gegenüber eyebizz.
Die erste Kollektion umfasst fünf Unisex-Modelle, die im Verkauf bei 99 Euro liegen. Die Brillen werden aus italienischem Bio-Acetat aus Zellulose-Acetat und Weichmachern pflanzlichen Ursprungs gefertigt. Die Expertise im Design schöpfen die Schweden aus der eigenen Uhrenproduktion.
„Das Design steht im Mittelpunkt. Deshalb werden alle Produkte von unserem hauseigenen Team in Stockholm entworfen. Den Stil würde ich so beschreiben. Auf den ersten Blick wirkt alles einfach und minimalistisch, wird aber komplexer und raffinierter, wenn man sich die Details anschaut. Die Liebe zum Detail zeichnet die Ästhetik unseres gesamten Produktangebots aus“, so Johansson.
Brunello Cucinelli goes Oliver Peoples
Statt auf eine eigene Produktion setzt die italienische Luxus-Modemarke Brunello Cucinelli seit 2020 auf eine Kooperation mit Oliver Peoples. Erstmals überhaupt hat sich das für seine Kaschmir-Kreationen bekannte Label nach außen sichtbar mit einem externen Partner zusammengetan. Oliver Peoples wurde einst von dem Amerikaner Larry Leight gegründet, gehört aber mittlerweile zu Luxottica.
Für den Designprozess sei die Zusammenarbeit mit Brunello Cucinelli geradezu nahtlos gewesen, erzählt Giampiero Tagliaferri, Creative Direktor von Oliver Peoples. „Wir sprechen die gleiche Designsprache, wollen Einfaches und doch unglaublich Besonderes herstellen – durch die Verwendung zweckmäßiger Materialien und komplizierter Details. Aus diesem Grund zeichnet sich die Kollektion durch eine luxuriöse Schlichtheit aus.“
Ästhetische Codes einer Marke
Tagliaferri reizte zudem, dass Brunello Cucinelli noch nie zuvor eine Brillen-Kollektion gemacht hat. Die Farbpalette der Kollektion, die im Spätsommer 2021 herauskam, erinnert mit ihren Natur- und Erdtönen sehr an die Mode Cucinellis.
„Wer die Brillen genauer ansieht, wird all die ausgefallenen Details erkennen, an denen wir gearbeitet haben, zum Beispiel Horneinlagen bei den Metallfassungen. Das Know-how dafür kommt von uns“, sagt Tagliaferri. Dem Modemagazin Vogue verriet er seine Strategie: „Wir stellen zunächst die wichtigsten Charakteristika einer Marke fest und entwickeln dann ästhetische Codes, die wir auf eine Brillen-Kollektion anwenden können. Es geht um Dinge, die einen sofort erkennen lassen, um welche Marke es sich handelt. Plakative Logos benutzen wir nie.“
Vertrieben wird die Kollektion über die Stores und Onlineshops von Oliver Peoples und Brunelle Cucinelli sowie über ausgewählte Wholesale-Partner. Die Preise reichen von 360 bis 540 Euro, für optische Brillen von 415 bis 600 Euro.
Auch die Luxus-Modemarke Brunello Cucinelli achtet darauf, mit dem neuen Produktsegment dieselbe anspruchsvolle, aber auch zahlungskräftige Zielgruppe anzusprechen, die bereits andere Produkte der Marke schätzt. Denn nur so kann ein Markentransfer Erfolg haben. ///
Rüdiger Oberschür ist Dipl.-Theaterwissenschaftler, seit über 15 Jahren journalistisch tätig, Online-Redakteur und Trendscout.