Wenn man sich mit nachhaltigen Materialien für Brillenfassungen befasst, wird schnell klar: Es ist ein sehr komplexes Thema, denn viele Ansätze führen zur Eco Eyewear. Die Varianten an mittlerweile erhältlichen, mutmaßlich nachhaltigen Werkstoffen haben enorm zugenommen, etliche Kombinationen werden ausprobiert: Eine Übersicht ohne Anspruch auf Vollständigkeit. [13690]
Materialien für Brillen müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, neben Stabilität auch Flexibilität und Formbarkeit, wo es nötig ist. Außerdem sollten sie mindestens antiallergisch, einfärbbar, lackierfähig, UV-beständig sein. Manches Eco-Produkt scheint bei näherem Hinsehen vielleicht nicht mehr ganz so nachhaltig. Meint der Verbraucher es ernst mit Nachhaltigkeit und Umweltschutz, muss er auch beim Brillenkauf genau hinschauen, ob der Hersteller Nachhaltigkeit wirklich lebt oder auf dieser Welle nur per „Green Washing“ mitschwimmen will.
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Horn und Holz
Denkt man an nachhaltige Materialien für Brillen, fallen einem sofort Horn und Holz ein. Hornbrillen wurden schon im 16. Jahrhundert auf den Nasen von vermögenden Brillenträgern gesichtet. Bei diesem nachhaltigen Material sollte man aufgrund des Artenschutzes auf die Herkunft z. B. des Büffelhorns achten.
Ein anderer „natürlicher“ Werkstoff für Brillen ist Holz. Waren zu Beginn die Modelle noch sehr massiv, wurden sie immer filigraner und konnten wie die Hornbrillen ihren Vorteil der Leichtigkeit immer besser ausspielen. Oft genutzt werden z.B. Lärche, Eukalyptus, Ahorn, Ebenholz, Nuss, Kirschbaum- oder Zebranoholz.
Aufmerksame Verbraucher freuen sich über das entsprechende Gütesiegel des Forest Stewardship Council (FSC) für Hölzer aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Deutschlands berühmtester Förster und Baum-Kenner Peter Wohlleben sieht im Holz allerdings keinen Öko-Rohstoff, lässt die Bäume lieber im Wald, wen wundert’s (zum Interview).
Ist Acetat nicht schon öko?
Apropos Holz: Für die gute alte Acetatfassung besteht das Rohmaterial aus Cellulosefasern aus Holz oder Baumwolle. Klingt das nicht schon öko? Jein, muss man sagen, denn es sind noch weitere Bestandteile enthalten, wie z.B. chemische Weichmacher. Außerdem ist Baumwolle inzwischen als intensiv Wasser verbrauchende Anbaupflanze bekannt, was den ökologischen Fußabdruck verschlechtert.
Hauptsache Faser
Aber das Stichwort „Fasern“ lässt bei nachhaltigen Materialien hoffen, damit sind neuerdings viele andere Varianten möglich: Acetate mit Abfall-Gräsern wie Rispe, Flachs, Reis und Stroh oder Hanf, Leinen und Bambus, Hauptsache faserig, werden inzwischen am Markt angeboten. Wenn dann auch die Farbpigmente, Weichmacher oder Kleber aus natürlichen Stoffen gewonnen werden, kann man der Ökobrille doch schon recht nahekommen.
Eine andere Spielart überlegte sich Rolf Spectacles, Spezialist für Holzbrillen, und kombinierte Pulver aus den Samen des sogenannten Wunderbaums, den Castorbohnen, mit dem Abfall-armen 3D-Druck in regionaler Produktion.
Produktion auf Abruf
„Print on demand“ kennt man sonst nur von Verlagen. Die Herstellung von Brillen mittels 3D-Drucker produziert mit ihrem Pulver-Ausgangsmaterial nicht nur ohne nennenswerten Abfall, sie ermöglicht auch, Fassungen auf Abruf zeitnah zu fertigen und keinen großen Maschinen-Park effektiv auslasten zu müssen. Weitere Pluspunkte: niedriger Energieverbrauch und keine große Lagerhaltung. Längst ist auch der Druck von Brillen aus Titan möglich, nicht nur aus Kunststoffen.
Natürlich mit Recycling-Materialien
Gerne verwendet wird bei Brillen-Materialien auch das Duo Pflanzenfaser plus recycelte Kunststoffe: Nachhaltigkeit und Haltbarkeit. Das bietet eine schier endlose Auswahl an Kombinationen. Aber: Die Problematik des Recycling-Prozesses selbst, um ein gleichwertig nutzbares Fassungsmaterial gegenüber dem konventionellen zu erhalten, ist nicht einfach und ein Kapitel für sich, weiß z. B. Eastman, US-Hersteller von Spezialkunststoffen, der mit Mazzucchelli zusammenarbeit.
Während sich manche Hersteller nur auf einen Abfall-Kunststoff konzentrieren, wie die Wiederverwertung von PET-Flaschen, nutzen andere das gesamte Repertoire an verfügbarem Plastikmüll. Das belgische Brillenlabel w.r. yuma z.B. fertigt Brillen per 3D-Druck darüber hinaus auch aus alten Armaturenbrettern, Verkleidungen sowie Kühlschränken.
Meeresplastik
Ein besonderes Thema ist das Kapitel Meeresplastik. Die Meldungen über vermüllte Ozeane und verendete Meeresbewohner haben inzwischen die meisten Verbraucher-Haushalte auf das Problem aufmerksam gemacht. Pioniere wie Sea2see fertigen aus Liebe zum Meer schon seit einigen Jahren Fassungen und Sonnenbrillen aus recyceltem Meereskunststoff und alten Fischernetzen. Das Label aus Barcelona organisiert selbst die Sammlung von Kunststoffabfällen aus der Meeresumwelt (Meer, Strände, Flüsse und Küstenumgebungen, durchschnittlich 250 Tonnen pro Jahr) und recycelt es zu Pellets.
Abfall upcyceln
Der Fantasie sind hier eigentlich keine Grenzen (mehr) gesetzt. Ein Unternehmen aus Griechenland nutzt Tonnen von Seegras, die an den Stränden anfallen, für ihre Brillen. Andere Labels verwenden Materialien wie Kaffeesatz oder Zuckerrohr für ihre Kreationen. Abgelegte Jeans und alte Bücher wurden ebenso upgecycelt wie alte Skateboards, Vinylschallplatten und sogar alte Filmstreifen.
Last but not least
Bleiben noch Unternehmen wie Lunor zu erwähnen, die bei ihren bisherigen Materialien bleiben, weil sie eventuelle Abstriche bei der Qualität vermeiden möchten, aber auf Regionalität und nachhaltiges Wirtschaften im eigenen Unternehmen großen Wert legen. Auch das ist nachhaltige Brillenherstellung.
Dass Bio bei Kunststoffen nicht automatisch besser sein muss, darauf weist eine aktuelle Studie deutscher und norwegischer Wissenschaftler hin. Zwar sage der Test an Zellkulturen nur bedingt etwas darüber aus, wie schädlich diese Materialien im alltäglichen Einsatz sind. Dennoch belegten Resultate, dass selbst Bioplastik aus pflanzlichen Rohstoffen nicht per se unbedenklich sein muss (Quelle: doi: 10.1016/j.envint.2020.106066). Inwieweit das Brillen tangiert, lässt sich noch nicht sicher sagen. Stellungnahmen von Anbietern waren bis Redaktionsschluss nicht zu bekommen. Brillen aus nachhaltigen Materialien sind noch nicht das „New Normal“, aber die Branche ist auf dem besten Weg.