Wer sind die Menschen hinter den Brillen? Wessen Ideen beeinflussen das, was Augenoptiker verkaufen und Menschen auf der Nase tragen? Eyebizz portraitiert die Kreativen der Branche. In der Ausgabe 3.2018 ist es Sebastian Schümmer. Er fertigt individuelle Fassungen aus Hirschhorn an.
Die Träger von Hirschhorn-Brillen sind selbstbewusst, denn die Brillen sind wahrlich außergewöhnlich. Wen wundert es? Schließlich hat das Material zuvor womöglich einen Zwölfender geschmückt. „Es sind natürlich nicht nur Jäger, die sich für eine Fassung aus Hirschhorn begeistern, abgeschliffen bekommt das Material beispielsweise eine ganz andere Ausstrahlung“, erklärt Sebastian Schümmer (33) und demonstriert ein weißes, filigranes, elegantes Modell.
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Das nachhaltige Material, das schon die Menschen der Urzeit nutzten, passt nach Süchteln. Hier ticken die Uhren tatsächlich anders als in betriebigen Großstädten der Republik. Am kopfsteingepflasterten Lindenplatz 5-7 der Kreisstadt Viersen geht es beschaulich zu. Der Weg von Düsseldorf führt per Landstraße durch ein bäuerliches Idyll, vorbei an Weiden und Wäldern des Rheinkreises Erft. Immer wieder wird auf Wildwechsel hingewiesen.
Passionierte Jäger
Schümmer ist nicht der einzige passionierte Jäger in seiner Familie. Vater, Großvater – sie alle pflegen die Jagd. Da war der Schritt vom abgeworfenen Gehörn, wie die Geweihe in der Jägersprache heißen, bis zur handgefertigten Fassung aus dem knöchernen Stoff nicht weit. Schon in den Schaufenstern entdeckt der interessierte Kunde von den Kleinoden – und auch online.
So weit ist Süchteln dann doch nicht von der schönen neuen Welt entfernt. Auf YouTube läuft ein Film zum Thema, immerhin mit 14.849 Aufrufen: „Die Kunden für unsere Hirschhornfassungen reisen auch von weit her an, zum Beispiel aus Magdeburg“, erläutert der Experte und steigt weiter erzählend in sein Refugium in die erste Etage die Treppe hinauf.
Neben den üblichen Werkstattgefährten wie Schleifmaschine und Messgerät bestimmen eine Säge und eine Fräse das Bild. 250 einzelne Handgriffe, hat der junge Augenoptikermeister gezählt, sind notwendig, um eine der exklusiven Brillenfassungen zu fertigen.
Da liegt auch schon ein vollständiges Geweih, das die Tiere alljährlich abwerfen. So muss der Kundenwunsch vom Hirschhorn für die Könige der Wälder gar nicht blutig ausgehen. Im Gegenteil. Das hochwertige Material ist ein Abfallprodukt.
Und die Form?
Vor der Fertigung bespricht der gebürtige Bedburger mit seinen Kunden die Form. Es gibt runde Varianten, welche mit Doppelsteg, schmetterlingsförmige Probe-Modelle. Sie dienen der Anschauung. Ist die Wahl getroffen, wird die Fassung der Anatomie des Kunden angepasst.
Manchmal sind es nur Hundertstel, die verändert werden müssen. Schümmer: „Ich trete in einen intensiven Dialog mit den Kunden.“ Allerdings dürfe das Gespräch auch nicht ausufern, denn dann stünden die Fans zu oft wieder auf der Türschwelle und wollen auch noch das ein oder andere Detail berücksichtigt haben. Das hat unter Umständen dann nie ein Ende.
So übernimmt der erfahrene Augenoptikermeister die letzte Entscheidung. Egal ob schmaler oder dicker Nasenrücken, anschließend passt alles: Ein ausschlaggebendes Argument für die individuelle Fertigung, so die Erfahrung des Familienvaters. Auf den Innenseiten der Bügel wird der Träger der Brille namentlich festgehalten. On top gewährt Schümmer eine zweijährige Garantie.
Die Verglasung muss auf den Punkt erfolgen, da die Gläser mit Druck eingesetzt werden. Sie dürfen dabei nicht unter Spannung in der Brille sitzen, jedoch auch nicht zu viel Spiel haben. Die Anpassung ist auch nicht schwer, so der ehemalige Knechtstedener Meisterschüler: „300 Grad mit dem Fön aus dem Baumarkt und alles biegt sich ins rechte Lot.“ Ist das Material brüchig? Nein. Einer normalen Beanspruchung hält das Unikat durchaus stand, vor allem wenn es mit einem Federscharnier ausgestattet wird.
Ein Drittel leichter als Acetat
Hirschhornbrillen sind allergiefrei, ein zusätzliches Verkaufsargument. Sie sind leichter, als man denkt, wiegen im Schnitt ein Drittel weniger als eine Acetatbrille. Der leidenschaftliche Jäger schlägt mit seiner Passion für Hirschhornbrillen eben mehrere Fliegen mit einer Klappe: Er verbindet sein Hobby mit dem Beruf und setzt sich durch das selbst betriebene Handwerk von seinen Mitbewerbern ab. Übrigens greift er nicht nur zu den Geweihen, sondern auch zu Büffelhorn, Perlmutt, Stein oder Holz, um seine Werke zu schaffen.
Bei einem Verkaufspreis zwischen 500 und 1.200 Euro liegt die Klientel zwischen 25 und 75. Entscheidend ist: Der Kunde hat genügend Geld zur Verfügung. Und natürlich das entsprechende Selbstbewusstsein, diese Ikonen im Werte eines iPhones vor sich herzutragen.
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Statussymbol im Männchenrudel
In Deutschland leben etwa 240.000 Stück Rotwild und 82 Mio. Menschen. Anders ausgedrückt: Auf 1.000 Hektar leben bei uns durchschnittlich 2.300 Menschen, aber nur fünf Stück Rotwild. Das Geweih der männlichen Rothirsche (Cervus elaphus) ist ein aus Knochensubstanz jährlich neu gebildeter „Kopfschmuck“. Während der Brunft kämpfen die Rothirsche, der Platzhirsch verteidigt damit seinen Anspruch auf die Paarung.
Das Geweih dient somit der innerartlichen Auseinandersetzung als Teil des Imponierverhaltens. Außerdem kann es zur wirkungsvollen Verteidigung eingesetzt werden. Innerhalb eines Rudels kommen in der Regel keine zwei Hirsche mit gleichem Geweih vor. Ein Geweih ist, obwohl von knöcherner Substanz, ein erstaunlich flexibles Material. Hirsche dürfen laut geltendem Jagdgesetz vom 1. August bis 15. Januar gejagt werden.
Sebastian Schümmer
Jahrgang 1986. Ausbildung bei Optik Frielingsdorf in Bedburg, an der Meisterschule in Knechtsteden. Er lebt mit seiner Familie in Rommerskirchen und betreibt mit seiner Frau Kathrin zwei augenoptische Fachgeschäfte.