Phänomen Schnelle Brille: Je futuristischer, desto rasanter
von Patricia Perlitschke,
Coole Shield-Optik, futuristischer Retro-Look: Spätestens seit dem Rapper-Hit „Schnelle Brille“ im vergangenen Jahr sind sportive Fassungen fürs Alltags-Outfit nicht nur bei der Jugend hierzulande im Trend. Doch was macht eine Brille „schnell“?
Brillen kann man manche Eigenschaften zusprechen, Schnelligkeit dürfte nicht dazu zählen, sieht man vom betriebswirtschaftlichen Begriff „Schnelldreher“, also extrem gut verkäufliche Produkte, einmal ab. Die „schnellen Brillen“, um die es hier geht, verbreiteten sich im vergangenen Jahr rasant in der Jugendkultur und gingen viral, vor allem über TikTok.
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Mix aus Sport, Rave und Trash
Die windschnittigen bunten und verspiegelten Sonnenbrillen in Shield-Optik sahen wir erstmals bei Radfahrprofis der 80er-Jahre, als Oakley mit dem Modell Eyeshade Rundum-Sonnen- und Windschutz entwarf und mit dem Sportidol Greg LeMond 1985 auf der Tour de France Premiere feierte. In den 90ern stylten sich Techno-Größen mit späteren spacigen Modellen für den perfekten Rave.
Die Generation Z schaute sich den Stil bei den Eltern ab, gern bei den damals noch sportlichen Vätern: Nicht umsonst nennt sich der Look der manchmal eher uncoolen Sportsonnenbrillen, kombiniert mit Jogginghose und klobigen Sneakern, „Ugly Dad“.
Manch damals erworbene Fassung fand ihren Weg Jahrzehnte später aus Papis verstaubter Schublade zurück auf Juniors Nase, um beim Rave-Festival oder Rapper-Konzert den Künstlern auf der Bühne nachzueifern. Sportliche Acetat-Vollrand- oder Halbrandbrillen, in den Leuchtfarben des Regenbogens, wurden von Events wie der Love Parade inspiriert.
Wider der stylishen Selbstoptimierung
Lieber lässig und bequem statt cool und stylish, Corona machte es möglich. Den Fans ist es eher egal, wie unmodisch das aussieht, sie tragen diese Styles zum Spaß und mit Augenzwinkern. Eine Gegenbewegung zur krampfhaften stylishen Selbstoptimierung. Gerade die vermeintliche Uncoolness machte die Brillen wieder interessant.
So wechselte die Sportbrille die Szene: von der Radtour auf den Dance-Floor. Auch ist die schnelle Verfügbarkeit ein Aspekt – wenn man keine unter Dads altem Kram findet. Das Schmuckstück sollte zudem nicht zu viel kosten. Haupt-Bezugsquellen sind daher oft Sport-Discounter, Drogeriemärkte und Billigläden, auch spezielle Websites sind unter dem Begriff zu finden.
„Snelle Brillen“
So auch der Online-Shop von Simone Kuijer. Der Style kam bei der 26-Jährigen so gut an, dass sie 2017 mit schnellebrillen.nl als erste Anbieterin im niederländischen Markt einstieg. „Auf einem Festival sah ich einen Typen, der diese super futuristische Sonnenbrille trug. Ich war so begeistert, dass ich wissen musste, woher er sie hatte. Ich suchte wochenlang nach diesem bestimmten Modell und eröffnete einen Webshop – nur zum Spaß. Auf Niederländisch würde man es „Snelle Brillen“ nennen, aber ich dachte, es wäre lustiger, es ins Deutsche zu übersetzen.“ Inzwischen ist die Amsterdamerin im gesamten DACH-Raum aktiv.
„Wir sind im Modus“
Im Sommer 2022 konnte Kuijer deutlich mehr Umsatz in Deutschland feststellen als sonst. Dafür dürfte die deutsche Rap-Crew 01099 verantwortlich gewesen sein. Hinter der Zahl verbergen sich die Musiker Dani, Gustav, Paul und Zachi, die 2018 die Postleitzahl ihrer Heimat Dresden-Neustadt zum Namen ihrer Band machten.
Mit ihrem Video „Schnelle Brillen, und wir sind im Modus“ trugen sie zum endgültigen Durchbruch auch bei uns bei. Zelebriert wird die entspannte Attitude der Träger. Resultat: mehr als 500.000 Klicks bei Youtube. Ausschnitte des Songs untermalen viele TikTok-Videos.
„Nie over- nie underdressed“
Millionen folgten dem Trend Schnelle Brille in den sozialen Medien, allein auf Tiktok waren es im Sommer 2022 mehr als 29 Millionen (!) Video-Aufrufe unter dem Hashtag #schnelleBrille. Influencer und Stars geben Tipps zum passenden Styling der neuesten Eroberungen. Wie man das It-Piece stylt, bleibt jedem selbst überlassen. TikToker Julius Kunz sieht es so: „Mit einer schnellen Brille bist du nie over- oder underdressed. Du bist einfach nur schnell.“ Viele Begeisterte beteiligen sich an der Suche nach der vermeintlich „schnellsten Brille Deutschlands“.
Schnelle Brillen sind oft leicht gebogen und sitzen aerodynamisch am Kopf – die Form bietet ziemlich guten Schutz für die Augen, egal wie schnell man tatsächlich unterwegs ist. Ist die Fassung mal nicht leuchtend bunt, sondern dezent in Schwarz oder Weiß gehalten, dann sorgen die Brillengläser oder Scheiben für die Farbe.
Gern verspiegelt, aber peinlich
Eindeutig definieren lässt sich der Look nicht. Schon der Stern versuchte sich daran: „Schnelle Brillen tragen entweder Mittvierziger auf dem Rennrad oder 20-Jährige auf einem Rave. Eine glasklare Definition, was eine schnelle Brille ist, gibt es nicht. Sportlich dynamisch, gerne verspiegelt, knallige Farben oder futuristisch und einen Funken peinlich, würde ein halbalter Mensch die Brillen beschreiben.“
Und was sind schnelle Brillen nun: ein reiner Modestil? Eine Bewegung? Eine Lebenseinstellung? Für Simone Kuijer ist es eine Kombination aus allen dreien. Wichtig sei der „sehr futuristische Look, der einem dieses schnelle Gefühl gibt“. Sie gibt ihren Modellen deshalb Geschwindigkeiten als Namen. „Das Aussehen und das Gefühl sind wichtig, um die Geschwindigkeit zu bestimmen. Das schnellste Modell, das wir haben, ist 530 km/h und vom Film X-Men inspiriert. Je futuristischer, desto rasanter die Brille.“ Als Aushängeschilder für ihre Marke suchte sich die Niederländerin Prominente wie den Rapper Finch Asocial oder den deutschen Sprinter Julian Reus.
Schnelle Brille: Vom Szene-Trend zum Mode-Hype
Der Hype in den sozialen Netzwerken ging auch an Trend-Scouts nicht vorüber. Die Deutsche Bahn drehte ein Video dazu, um Hippness zu zeigen; das Modehaus Balenciaga zeigte in der Frühlings/Sommer-Show für 2023 ihre Interpretation davon – auch wenn die schnelle Brille hier nicht ganz so günstig sein dürfte. „It’s ugly, that’s why we like it“, so Demna Gvasalia, Gründer des Luxus-Streetstyle Labels Vetements und Modedesigner bei Balanciaga.
Auch Fashion-Magazine thematisieren das Phänomen, zeigen Stars und Influencer mit den entsprechenden Outfits, so wie Mega-Influencerin Kim Kardashian und Töchterchen North. Authentizität und Selbstironie passen zum Trend. Denn unkonventionell und (manchmal vielleicht peinlich) sind auch die Kombinationen. Ob mit Oversized-Klamotten im Dad-Style (z.B. kariertes Flanell-Hemd), zu einem Raver-Look mit Mesh-Oberteil oder zum sexy Satin-Kleid – alles ist möglich und erlaubt. Lange überlegen darf man sowieso nicht, schließlich soll es schnell gehen – beim Styling mit den schnellen Brillen.