Go Götti, Go: Erst zeigen sie eine Palette von extrem individuellen, markigen Fassungen, jetzt sind es aber auch individualisierte, 3D-gedruckte Brillen, mit hoher Leichtigkeit, zudem ein randloses Brillensystem, Acetat Fassungen mit hoher Transparenz und filigrane Titanmodelle. Was ist los mit Götti?
Götti-Brillen stehen für Swissness. Der typische Schweizer Purismus steckt dahinter, innovative technische Finessen, wie man sie aus der Uhrenindustrie kennt. Die Fassungen werden in der Schweiz entworfen, in führenden Manufakturen in Deutschland, Österreich und Japan gefertigt und an ausgewählte Fachgeschäfte in über 30 Länder geliefert. Stopp: Jetzt werden sie dank neuer Technologie zum großen Teil auch in der Schweiz selbst produziert. Das Unternehmen wurde 1993 von Designer Sven Götti in Luzern gegründet. Auch das Auftreten des 50-Jährigen kommt komplett landestypisch rüber: relaxed in Jeans und T-Shirt, freundlich, nicht laut, aber auf den Punkt. Seine Triebfeder: „Hinter dem Horizont geht’s weiter. Oder anders gesagt, Neugierde und Ausdauer.“
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„Design beginnt im Kopf und kommt von Herzen.”
Die Kollektionen von Götti wurden mehrfach ausgezeichnet, zuletzt im vergangenen Jahr mit dem German Design Award – Gold für die Sonnenbrille Tamal. Auf der Suche nach der „perfekten Brille“ kam Sven Götti vor acht Jahren die Idee, eine randlose Brille zu entwickeln: „Allerdings wollte ich nicht einfach die Gläser mit einer Schraube befestigen, die sich in der Regel früher oder später löst.“ Nein, der Anspruch war höher. Es sollte eine ganz neue Art von Glasbefestigung werden. Das Dogma hieß: die ganze Brille soll ohne Schraube, Lötstelle und Leim auskommen. Seitdem haben Sven Götti und Thomas Frischknecht – letzterer verantwortlich für Marketing und Entwicklung – unzählige Stunden investiert, tausende Kilometer zwischen der Schweiz, Frankreich und Italien auf der Suche nach den richtigen Produzenten zurückgelegt und viele, viele Prototypen anfertigen lassen. Doch jedes Mal, zeigten die Muster Schwächen, die für sie inakzeptabel waren.
Neue Technik – neue Lösung – neues Design
Der Durchbruch kam, als das Duo sämtliche herkömmlichen Lösungen aus Spritzguss oder bekannten Kunststoffen hinter sich ließ und die Glasbefestigung mittels 3D-Druck realisierte. Götti: „Entgegen aller gut gemeinten Ratschläge von Experten ließ ich das kleine Verbindungsteil in dieser Technologie herstellen, ein Experiment, mehr nicht.“ Die Teile lagen lange auf Svens Tisch. Die unbewusste Angst vor dem Scheitern war zu groß, meint er im Nachhinein. Außerdem galt es ja auch, die eigentliche 3D-Kollektion nach vorn zu treiben. Schließlich gab er Thomas dann doch die Teile zum Montieren. Mit dem Ergebnis kam er freudestrahlend zurück: „Eine optimale Verbindung von Brillenglas und Fassung ohne Schraube.“
Ab da gab es kein Halten mehr. Das Konzept rund um die randlose Brille wurde zusammen mit der Entwicklungsabteilung optimiert, vor allem auch die neue Lösung für ein schraubenloses Scharnier. Alle Werkzeuge, die zur Herstellung der Brille notwendig sind, wurden inhouse entwickelt. Mit dem Vorteil, dass die Produktion jetzt in Wädenswill läuft. Vorgestellt wurde die PERSPECTIVE Kollektion erstmals 2017 auf der opti in München, seit vorigem Sommer läuft der Verkauf.
eyebizz sprach mit Sven Götti – zum zweiten Frühstück bei Kaffee und Buttercroissants mit Blick auf den Zürichsee – nicht nur über die Zusammenhänge zwischen technologischem Fortschritt und Design.
eyebizz: Sven, Du hast bis zum vergangenen Jahr akzentuierte, markante Brillen designt. Wie kommt es jetzt zu dem Wandel, auf Rimless und Leichtigkeit zu setzen?
Sven Götti: Stimmt, grundsätzlich waren wir nie die Typen für randlose Brillen. Das Konzept hat aber extrem viel Potenzial. Zum einen, weil mit den Einzelteilen ständig neue Brillen entstehen können: Egal, ob eine freche kantige Form oder eine runde – alles ist möglich. Wir geben zwar bestimmte Formen vor, von denen aber individuell, ganz nach Kundenwunsch abgewichen werden kann. Zum anderen, weil wir damit eine Möglichkeit gefunden haben, Brillen in der Schweiz herzustellen.
Blicken wir zurück auf Deinen Start, Sven: Was sind Meilensteine in Deiner Entwicklung als Designer und womit hängen sie zusammen?
Ich bin durch Zufall zur Augenoptik gekommen. Habe dann unter anderem in Wien und Saint-Tropez gearbeitet. Mit Urs Niederer habe ich 1993 in Luzern ein Geschäft gegründet. Hier entwickelte sich mein Wunsch, eine eigene Brillen-Kollektion zu entwerfen und in unserem Geschäft zu vertreiben. Das Ganze begann mit Büffelhorn. Die Modelle kamen gut an, nicht nur bei unserer eigenen Kundschaft, sondern auch bei den augenoptischen Kollegen. So kam der Stein ins Rollen. Acetat und Titan kamen dazu, übrigens mit den gleichen Herstellern, mit denen wir heute noch zusammenarbeiten. 1998 wurde Götti Switzerland gegründet, abgespaltet von dem Geschäft in Luzern.
Bis vor einem Jahr etwa war Randlos etwas für Menschen, die ihr Gesicht durch eine Brille möglichst wenig verändern wollten. Klar, da ist der übergangslose Blick, aber was hat Dich persönlich an den Randlosen gereizt?
Randlos ist spannend, weil es formal sehr reduziert ist, trotzdem aber ein Statement. Kantig und charakterstark spricht die Götti-Lösung ganz andere Leute an. Randlos ist für uns die konsequente Weiterentwicklung von den filigranen Acetat- und Titanbrillen, für junge, trendige Personen ein ganz neuer Hype. Interessant ist auch, dass das Brillenglas ganz anders akzentuiert wird.
Ist der Wechsel von Nerd zu Randlos einer von einem Extrem zum anderen, wie man ihn auch ansonsten in der Mode beobachtet? Wenn wir zum Beispiel an die Rocksäume denken: Vom Mini zum Maxi, zum Midi-Rock – oder bei den Hosen: Vom Schlag zur Röhre. Ist es einfach diese Sinusschwingung, die auch die Augenoptik bewegt? Jetzt weg vom Markanten, hin zum Filigranen?
Sven Götti: Ja, das glaube ich. Dieser Wechsel findet ja auch nicht zum ersten Mal statt. Metall war früher sehr stark, die vergangenen zehn Jahre lief Acetat zur Hochform auf. Jetzt ist der Wechsel wieder an der Zeit. Teenager mit Metallbrillen sind heute im Straßenbild von New York oder Zürich angesagt. Trotzdem wird Acetat bleiben, auch wenn sich die Gewichte verschieben.
Welche Aspekte sind wirklich innovativ und neu bei Eurem randlosen Auftritt?
Ausschlaggebend ist der technische Hintergrund. Wir wollten eine randlose Fassung, ganz ohne Schrauben, Lötstellen und Klebverbindung schaffen. Alle Metallteile untereinander und auch die Verbindung zu den Gläsern werden nur ineinander gesteckt. Der Vorteile für den Augenoptiker sind die einfache Montage in der Werkstatt, die Gläser werden durch das Metall nicht belastet. Das Produkt ist sehr flexibel, Glasbruch ist kein Thema. Wir bilden unsere Kunden, was die Glasmontage angeht, aus, montieren aber auch auf Wunsch in unserer eigenen Werkstatt oder zertifizierten Einschleiflabors.
Welches sind die Nachteile bei der 3D-Produktion und wie bekommt ihr sie in den Griff?
Bleiben wir erstmal bei den Vorteilen! Erst durch die Entwicklung unserer 3D-Kollektion sind wir bei den Randlosen zu dieser optimalen Lösung gekommen. Denn die Verbindung von Glas und Metall sind durch herkömmliche Technologien nicht realisierbar. Durch das neue Material sind jetzt aber eben auch neue Design-Lösungen möglich. Es gibt pro Fassung vier 3D-gedruckte Verbindungsteile. Was an anderer Stelle zu den Nachteilen der 3D-Produktion beiträgt, entpuppt sich hier zum Vorteil. Bei der Produktion wird ein weißes Nylonpulver per Laser gehärtet. Die produktionsbedingte Ungenauigkeit ermöglicht so Löcher in kleinstem Durchmesser, die mit herkömmlichen Produktionsmethoden wie Fräsen und Spritzgießen gar nicht realisierbar wären.
Die Verbindung leiert nicht aus?
Nylon hat eine sehr zähe Materialeigenschaft und ist stabil genug für eine dauerhafte Verbindung aber auch flexibel genug, um das Brillenglas vor zu viel Spannung zu schützen. Dies bestätigen Langzeittests, die wir natürlich durchgeführt haben.
Wie sieht euer nächster Design-Traum aus?
Das System lässt unendliche viele Möglichkeiten zu. Auf dem Tisch unserer Entwicklungsabteilung liegen deshalb schon viele Prototypen zum Testen, auf die man gespannt sein kann.