Es begab sich aber zu dieser Zeit, dass die alte Werkbank vom verstorbenen Opa aus dem Keller getragen werden sollte. Zwei Muskelprotze aus Duisburg hatten sich angesagt, das tonnenschwere Monster zu sich nach Hause zu schleppen. Leichter geschrieben als getan: Drei ganze Kerle hievten den Werkstatt-(Alb)Traum fünfzehn Stufen die Treppe hoch, dann zehn Meter durch den Hof, abschließend die kleine Stiege. Schritt für Schritt. Eine Mammutaufgabe. Für den einzig beteiligten Blinden lebensgefährlich! [14189]
Denn da war er wieder: Der Blindflug hinter der Maske, der Menschen zurzeit auch außerhalb von Karneval das Fürchten lehrt. Bei vier Grad über Null und dem Wechsel vom Keller drinnen ins feuchtkalte Draußen kennt die Physik kein Pardon. Hinter Milchgläsern verschwimmen alle Stufen. Da hilft nichts: Weg mit der Brille. Sie fliegt! Lieber im natürlichen Licht die Unschärfe tolerieren als hinter der Nebelwand durch den Abenteuerparcours purzeln.
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Was der bebrillte Entrümpler durchleidet, vernebelt andere Pflicht-Maskierte in Bus und Bahn. Beim Shoppen werden alle 15 Sekunden die Gläser geputzt. Unzarte Zusammenstöße im Supermarkt sind vorprogrammiert. Körperkollisionen statt Social-Distancing. Preise? Produkte? Fehlanzeige im feuchten Einheitsgrau. Die Brille als Mode-Accessoire? Nee, als Folterinstrument macht sie von sich reden. So manches Designer-Modell landet beim Maske-Auf-und-Ab auf dem Asphalt. Mit steigender Verzweiflung, ja Hass auf die Sehkrücke schwappt eine für die Branche peinigende Medienwelle durchs Land.
Egal. Haben wir bei Donald Trump gelernt: Auch schlechte Presse ist gute Presse. So kommen die sonst so perfekten Brillengläser wieder in die Schlagzeilen. Ob im Bayerischen Rundfunk, auf Sat.1, bei Augenoptiker*innen von München bis Hannover recherchieren Reporter: Was tun gegen den Blindflug? Seh-Experten verweisen da Nebelleuchten ins Nirwana: Spülmittel hilft nicht! Pektine aus dem Apfel schmieren! Auch hinter Spezi-Spezialgel beschlägt’ s weiter. Hat die Industrie zu wenig geforscht? Fake-News und Verschwörungstheorien werden vorbildlich gnadenlos entlarvt, kürzlich sogar Antibeschlag-Sprays von der Verbraucherzentrale in Verruf gebracht.
Zauberhaft dagegen die SehFee vom KGS, die an die Gesichtsform angepasste Masken und einen Doppel-Loop der Bändchen vor dem Ohr empfiehlt. Na also. Mehrheitliches Credo: Anti-Beschlagtücher müssen zur Ausstattung des Seh-Optimisten gehören. Noch so ein Dingsda, das ich garantiert immer vergesse. Was nicht da liegt, wo ich es bestimmt brauche: Zum Beispiel, wenn ich tonnenschwere Werkbänke durch den Hinterhof hieve. Wir haben es so satt!
An alle bebrillt Maskierten: Greifen wir zur Kontaktlinse!
Für alle anderen: Weiterhin guten Flug, sanfte Landung, keine platten Füße!