Kontaktlinsen bieten über 140 Millionen Menschen weltweit tagtäglich zahlreiche Erleichterungen im Alltag. Die desinfizierende Wirkung von sichtbarem violettem Licht wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt, jedoch ist diese Tatsache selbst Experten kaum bewusst. In Ulm wurde dieses vergrabene Wissen wieder „ans Licht gebracht“ und könnte für die Desinfektion von Kontaktlinsen eingesetzt werden.
Dieser Siegeszug basiert auf einer stetigen Entwicklung, vor allem im Bereich des Materialdesigns, beginnend mit Kontaktlinsen aus Glas, die in den späten 1930er Jahren durch PMMA ersetzt wurden. Heute sind Kontaktlinsen ausgereifte und gleichzeitig hochkomplexe Objekte, deren chemische Zusammensetzung für den Anwenderkomfort relevante Parameter wie Sauerstoffpermeabilität und Wassergehalt genau bestimmen. Dennoch gibt es ein Manko, das bisher noch nicht gelöst werden konnte: Bei der Desinfektion von Mehrtageslinsen müssen gleichzeitig zwei unvereinbare Ziele erreicht werden, um für den Anwender optimalen Schutz gewährleisten zu können.
Anzeige
Mikroorganismen, die mit der Linse ins Auge gelangen könnten, müssen während des Desinfektionsprozesses abgetötet werden. Dafür werden heutzutage sogenannte Multifunktionslösungen oder auf Wasserstoffperoxid basierende Desinfektionslösungen genutzt, in denen die Kontaktlinse über Nacht gelagert wird. Diese besitzen Inhaltsstoffe, welche die Zellintegrität zerstören und damit zu einer Keimreduktion beitragen. Ähnliche Mechanismen wirken jedoch auch auf die Zellen der Augenoberfläche, sodass diese durch das Desinfektionsmittel gereizt werden, wenn Rückstände davon mit der Linse ins Auge wieder eingesetzt werden.
Bei Silikon-Hydrogel-Kontaktlinsen, dem am häufigsten verwendeten Kontaktlinsentyp, erhöht sich die Problematik dahingehend, dass die polymere Kontaktlinsenstruktur das Desinfektionsmittel über Nacht absorbiert und die chemischen Detergenzien während des Trageprozesses am Tage wieder an den Augapfel abgegeben werden, wodurch ein Abspülen der Linse nach dem Desinfektionsprozess nur bedingt gegen Desinfektionsmitteleintrag hilft.
Nachteile chemischer Desinfektionsmittel
Dass die in unten stehender Grafik dargestellten widersprüchlichen Anforderungen an die Desinfektion von Kontaktlinsen kaum erfüllt werden können, zeigen nicht nur zahlreiche wissenschaftlichen Studien, sondern auch Stiftung-Warentest- und Öko-Test-Ergebnisse, welche bei aggressiv formulierten Desinfektionsmitteln die Beeinträchtigung des Anwenderauges ankreiden, bei anwenderfreundlicher Formulierung die mangelnde Desinfektionsleistung. Beides birgt eine Gefahr für den Kontaktlinsenträger, denn auch eine Sensitivierung des Augengewebes durch chemische Reizung erhöht die Wahrscheinlichkeit für bakterielle Komplikationen.
Mikrobielle Keratitis, eine entzündliche Augenerkrankung mit ernsthaften Folgen, tritt jährlich bei 2,44 von 10.000 Kontaktlinsenträgern auf, andere inflammatorische Ereignisse wie Contact Lens related acut red eye, Contact lens peripheral ulcer und Infiltrative Keratits (IK) sogar noch deutlich häufiger und können teilweise mit der benutzten Desinfektionslösung und deren Toxizität korreliert werden.
Wirkungsweise von violettem Licht
Die desinfizierende Wirkung von UV-Strahlung ist seit langem bekannt und ist in vielen Bereichen im Rahmen von Desinfektionsprozessen etabliert. Sie beruht auf einer DNA-Schädigung bei Organismen, wirkt sich jedoch auch auf technische Materialien aus, weshalb sie für die Kontaktlinsendesinfektion nicht geeignet ist. In einem an der Hochschule Ulm entwickelten Ansatz zur schonenden Desinfektion von Kontaktlinsen kommt deshalb eine andere Wellenlänge – aus dem sichtbaren Wellenlängenbereich – zum Einsatz. Die desinfizierende Wirkung von sichtbarem violettem Licht wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt, jedoch ist diese Tatsache selbst Experten kaum bewusst. In Ulm wurde dieses vergrabene Wissen wieder „ans Licht gebracht“.
Bakterien enthalten sogenannte Photosensitizer wie Porphyrine, die violettes Licht absorbieren und dabei aus Sauerstoff Radikale erzeugen können, sogenannte reaktive Sauerstoffspezies (ROS), die dann bakterielle Strukturen von innen heraus angreifen und somit zum Zelltod führen.
Diese Hypothese war Ende des 19. Jahrhunderts natürlich noch nicht bekannt. Damals wurde mit spektraler Aufteilung durch ein Prisma gearbeitet oder mit Reagenzgläsern aus verschieden-farbigem Glas, welche der Sonnenstrahlung ausgesetzt wurden und eine undefinierte Bakterienmischkultur enthielten.
Heute ist es, vor allem auch durch den großen Fortschritt in der LED-Entwicklung, möglich, mit sehr kleinen, kostengünstigen Lichtquellen, die spezifische Wellenlängen abgeben, sowohl definierte Bestrahlungsexperimente durchzuführen als auch durch moderne mikrobiologische Methoden die bakterielle Belastung an einzelnen, thematisch relevanten Keimen genau zu quantifizieren.
In unseren eigenen, sowie einigen weiteren wissenschaftlichen Arbeiten zur Bestrahlungsthematik im sichtbaren Wellenlängenbereich, konnte gezeigt werden, dass dieser Effekt für alle in der DIN-Norm DIN EN ISO 14730 aufgeführten kontaktlinsen-relevanten Keime funktioniert.
Vereinte Wirksamkeit von Licht und Chemie
Ganz neue, bisher noch vorläufige Untersuchungen beschäftigen sich mit der Kombination von Kontaktlinsendesinfektionsmitteln und einer Bestrahlung mit sichtbarem Licht. Die Ergebnisse zeigen, dass sich bei einer Kombination die beiden Verfahren positiv beeinflussen, sodass eine bessere Wirksamkeit gegenüber Mikroorganismen erzielt werden kann. Weiterhin bedeutet dies, dass die Konzentration von Desinfektionsmitteln und damit auch die für das Anwenderauge kritischen Detergenzien deutlich reduziert werden könnten. Dies stellt einen großen Fortschritt in Richtung der Auflösung der widersprüchlichen Anforderungen an Desinfektionsmittel für Kontaktlinsen dar.
In unten stehender Abbildung wird die Desinfektionswirkung von reiner 405-nm-Bestrahlung und der Kombination des auf 30 Prozent seiner ursprünglichen Formulierung reduzierten Multidesinfektionsmittels ReNu (Bausch+Lomb) mit einer 405-nm-Bestrahlung gegenübergestellt. Die Zahlenwerte geben die aus der Ausplattierung ermittelten Ergebnisse der Bakterienanzahl pro ml wieder. In dieser Versuchsreihe wurde mit einer Pseudomonas-Spezies gearbeitet, welche zu großen Teilen für kontaktlinseninduzierte infiltrative Ereignisse verantwortlich ist. Bei der mit Desinfektionsmittel kombinierten Desinfektion ist eine Bakterienreduktion von 5 log-Stufen, dies entspricht einer Reduktion von 99,999%, innerhalb von zehn Minuten zu erkennen. Für eine Desinfektion entsprechend der Norm sind 3 log-Stufen (99,9%) ausreichend. Die Darstellung der Desinfektionsleistung mit reiner 405-nm-Bestrahlung zeigt deutlich einen bakterienreduzierenden Effekt, jedoch passiert dieser viel langsamer als bei Zugabe des Desinfektionsmittels.
Andere Untersuchungen (Abbildung 4) konnten jedoch zeigen, dass bei ausreichender Bestrahlungsdauer bzw. -dosis auch bei alleiniger Bestrahlung mehr als ausreichende Desinfektionsergebnisse erzielt werden, da die Desinfektion von Kontaktlinsen üblicherweise über Nacht geschieht und die zur Verfügung stehende Zeitspanne im Bereich von Stunden statt Minuten liegt.
Zukünftige Kontaktlinsendesinfektion
Trotz des erheblichen technologischen Fortschritts bleibt die Durchführung der Desinfektionstechnik für den Anwender ganz einfach, denn es ändert sich in ihrem Ablauf nichts zum bisherigen Vorgehen. Die 405-nm-Bestrahlung lässt sich mit kleinen violetten LEDs realisieren, die in einen Kontaktlinsenbehälter integriert werden. Die typische Lebensdauer von LEDs beträgt derzeit 50.000 h, sodass ein Betrieb über mehr als fünf Jahre problemlos möglich wäre. Die Kontaktlinsen werden über Nacht in einer reinen Salzlösung oder einem Desinfektionsmittel reduzierter Konzentration aufbewahrt, bestrahlt und für das Anwenderauge schonend desinfiziert.
Abbildung 5 zeigt einen Prototyp für solch einen Behälter, mit dem die Kontaktlinsendesinfektion der Zukunft gelingen kann. Bis zur Marktreife ist allerdings noch einiges an Entwicklungsarbeit sowie umfassende Validierungs-Untersuchungen zu leisten. Die Hochschule Ulm sucht daher noch nach Industrie-Partnern, um interessierten Anwendern diese neue Innovation möglichst bald zur Verfügung stellen zu können. Für weitere Rückfragen stehen die Autoren gerne zur Verfügung.
Zu den Autoren:
Katharina Hönes
hat nach einem Bachelor-Studium in Bioingenieurwesen an der Hochschule München ein Medizintechnik-Masterstudium an der Hochschule Ulm absolviert. Ihre Arbeit zur verbesserten Kontaktlinsendesinfektion, die sie mit ihrer Masterarbeit begann, wurde bereits mit drei Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Gunter-Schamberger-Preis der Vereinigung deutscher Contactlinsen-Spezialisten und Optometristen (VDCO) 2015 als auch mit dem Artur-Fischer-Erfinderpreis im Juli 2017. Derzeit arbeitet sie an diesem Thema im Rahmen ihrer Promotion, um noch detaillierte Einblicke in diesem hochinteressanten Forschungsfeld zu erhalten.
Martin Hessling
hat nach einem Physik-Studium an der Universität Bonn noch ein Fernstudium Medizinische Physik und Technik mit den Schwerpunkten Laser und Optik an der Universität Kaiserslautern absolviert. Nach einigen Stationen in Forschung und Industrie, u.a. bei der Rodenstock Präzisionsoptik in München, ist er seit 2005 Professor an der Fakultät Mechatronik und Medizintechnik der Hochschule Ulm und beschäftigt sich hier u.a. mit verschiedenen Strahlungs-Desinfektionsverfahren.