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Nachgefragt beim Experten Dr. Stefan Bandlitz

Kontaktlinsen-Technik der Zukunft

Kontaktlinsen-Technik der Zukunft - eyebizz 3-2020

Kontaktlinsen: heute, morgen, übermorgen. Im exklusiven Interview mit Dr. Stefan Bandlitz blickt eyebizz nach vorne: intelligente Materialien und Pflegesysteme, Mojo-Linse, „Patient Monitoring Contact Lens“. Faszinierende neue Welten eröffnen sich für Augenoptiker und ihre Kunden. Vieles davon ist noch lange nicht auf dem Markt oder erst in der Testphase, doch man weiß heute schon: Die Zukunft wird kommen.

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eyebizz: Thema innovative Kontaktlinsen. Herr Dr. Bandlitz, wo stehen wir?

Dr. Stefan Bandlitz: Noch richtet sich das Hauptaugenmerk aller wissenschaftlichen Publikationen zum Thema Kontaktlinse – und auch mein Fokus – auf das Tragen von Kontaktlinsen in Zeiten von Corona. Die gute Nachricht: Laut aktueller Verlautbarung des British Contact Lens Association (BCLA) gibt es derzeit keine Hinweise darauf, dass Kontaktlinsenträger einem höheren Risiko für eine Coronavirus-Infektion ausgesetzt sind als Brillenträger. Zudem gibt es keine Anzeichen auf einen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Kontaktlinsen und der Ausbreitung von Covid-19. Deshalb gibt es auch keine Veranlassung, dass das Tragen von Kontaktlinsen von gesunden Personen vermieden werden sollte.

Uneinigkeit besteht unter Forschern noch darüber, ob und inwieweit eine Übertragung von Covid-19 über die Bindehaut oder den Tränenfilm möglich ist. Eine jüngst publizierte Studie von Yu Sun et al. geht von einem geringen Risiko einer okulären Übertragung aus, während Xia et al. die Möglichkeit einer Augeninfektion als potenzielle Infektionsquelle in Betracht ziehen. Weitere Studien mit höheren Fallzahlen bleiben abzuwarten.

Ein großes Thema bei Kontaktlinsen ist Myopie-Management. Für wie zukunftsträchtig halten Sie diesen Anwendungsbereich?

Ein erfolgreiches Myopie-Management erfordert meiner Meinung nach weit mehr als die reine Versorgung mit den dafür vorgesehenen Kontaktlinsenprodukten. Die Myopie scheint noch lange nicht verstanden und ist sehr komplex. Infolgedessen hat der Myopie-Boom der vergangenen Jahre erfreulicherweise das Interesse der wissenschaftlichen Gemeinschaft geweckt. Die Ursachen für das Entstehen einer Myopie wurden damit besser untersucht und Interventionen zur Kontrolle der axialen Dehnung, die der Myopie zugrunde liegt, wurden entwickelt.

Während des vergangenen Jahrzehnts sind viele Interventionsstudien zur Myopie-Progression entstanden. Obwohl Anpassungen des Lebensstils wirksam sind, haben pharmakologische und optische Interventionen die höchste Wirksamkeit bei der Verringerung des Augenwachstums gezeigt. Dennoch macht es nicht bei jeder Myopie Sinn, ein Myopie-Management zu starten.

Der Erfolg einer Myopie-Management-Intervention hängt maßgeblich von den Empfehlungen und Verschreibungen des Kontaktlinsen-Anpassers ab. Hier sehe ich eine Gratwanderung zwischen einer gewissen öffentlichen Hysterie und einer seriösen Aufklärung durch den geschulten und verantwortungsvollen Kontaktlinsen-Spezialisten. Es ist daher zu hoffen, dass die jüngste Veröffentlichung der evidenzbasierten Leitlinien für die Praxis des Myopie-Managements sowie weitere Publikationen das Handeln des Optometristen in Zukunft beeinflussen werden.

Jenseits des Myopie-Managements – welche erweiterten oder auch neuen Anwendungsgebiete der Kontaktlinsen gibt es, von der Augenoptiker und Verbraucher möglicherweise noch nichts wissen?

Die Kontaktlinsen als Display zur Projektion von Daten (Augmented Reality), als Messinstrument für den Augeninnendruck oder der Glukosekonzentration im Tränenfilm (Biosensoren) sowie zur Abgabe von Medikamenten oder Benetzungssubstanzen sind Beispiele neuer Anwendungsgebiete. So gibt es zum Beispiel vielversprechende Versuche mit Antihistamin abgebenden Kontaktlinsen zum Einsatz bei Allergikern. Zudem gibt es Prototypen von teleskopischen Kontaktlinsen zum Einsatz bei Makuladegenerationen und erste Versuche, Kontaktlinsen im 3D-Drucker zu fertigen. Relativ neu am Markt erhältlich sind phototrope weiche Kontaktlinsen.

Kontaktlinsen-Technik der Zukunft - Dr. Stefan Bandlitz
Dr. Stefan Bandlitz von der HFA Köln im
Interview zur Kontaktlinsen-Technik
der Zukunft

Für die erfolgreiche Vermarktung einer intelligenten Kontaktlinse (Smart Contact Lens) müssen allerdings vorher mehrere technische Herausforderungen gelöst werden. Beispielsweise muss der Biosensor empfindlich genug sein, um kleine Änderungen der interessierenden Substanz in der Tränenflüssigkeit zu erfassen. Darüber hinaus müssen eine Antenne und eine Stromquelle integriert werden, die für eine Kontaktlinse geeignet sind. Das gesamte System muss außerdem dünn und flexibel genug sein, um angenehm auf dem Auge zu sein. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, ob der Biomarker im Tränenfilm auch tatsächlich als zuverlässiger Indikator verwendet werden kann.

Eingebettet in eine Sklerallinse bringt das Display der neu entwickelten Mojo-Linse beeindruckende 70.000 Pixel auf weniger als einen halben Millimeter Fläche. Das Display ist so konzipiert, dass es direkt auf die Fovea projiziert. Dieses effiziente Design reduziert die Leistung und das Licht, die für das Funktionieren der Technologie erforderlich sind. Diese Linse ist noch nicht auf dem Markt. Die größte technische Herausforderung besteht darin, die verschiedenen Mikrokomponenten zu einer nahtlosen Kontaktlinse zu vereinen, die dann als Medizinprodukt tragbar ist. Zudem gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre einer intelligenten Kontaktlinse, die kontinuierlich persönliche Informationen sammelt und überträgt.

Durch die Entwicklung neuer Materialien erleben derzeit auch Sklerallinsen, Hybridlinsen und Huckepacksysteme einen Zuwachs. Darüber hinaus ermöglichen neue Technologien zur exakten Bestimmung der Topographie und des Kontaktlinsen-Sitzes, wie zum Beispiel optische Kohärenztomographie, Fourier-Transform-Profilometrie oder Scheimpflugverfahren, eine gezieltere Anpassung auch von speziellen Geometrien.

Werden Kontaktlinsen für Träger immer komfortabler?

Ein eingeschränkter Tragekomfort zählt nach wie vor zu den häufigsten Gründen für einen „Dropout“, also einem Ausstieg aus dem Kontaktlinsen tragen. Die Entwicklung neuartiger Materialien oder Oberflächenbehandlungen konzentriert sich darauf, die Verdunstung des Tränenfilms während des Tragens zu verhindern. Dies kann zum Beispiel durch die Abgabe von Lipiden durch die Kontaktlinsen oder deren Integration in die Kontaktlinsen erfolgen. Ferner gibt es Hinweise darauf, dass einige selektive Ablagerungen von Tränenfilmderivaten förderlich für den Komfort sein könnten. Intelligente Materialien oder Pflegesysteme könnten demnach in Zukunft vielleicht selektieren, welche Bestandteile des Tränenfilms auf der Kontaktlinse nützlich und welche weniger nützlich sind.

Zu den Kontaktlinsen-Materialeigenschaften, die in Betracht kommen und einen Einfluss auf den Kontaktlinsen-Komfort haben, zählen zum Beispiel der Wassergehalt, der Hydratationszustand, die Ionizität, die Sauerstoffdurchlässigkeit, der Modulus, das Benetzungsverhalten, die Oberflächenmodifikation und die Reibung. Da bisher nur für den Reibungskoeffizienten der Beweis einer Komfortsteigerung gebracht werden konnte, steht die Entwicklung von Materialien mit einem niedrigeren Reibungskoeffizienten im Mittelpunkt. Dies kann erreicht werden, indem man eine hochwasserhaltige Oberfläche schafft oder dem Material Benetzungssubstanzen wie Polyvinylpyrrolidon (PVP) oder Polyvinylalkohol (PVA) zugibt.

Kontaktlinsen-Träger tun sich mitunter schwer, richtig einzuschätzen, ob eine neue Generation von Kontaktlinsen auch wirklich komfortabler für sie ist.

Der Verbraucher kann eine Steigerung des Komforts natürlich nur dann feststellen, wenn ihm innovative Produkte im Vergleich zu den bisher getragenen Kontaktlinsen auch angeboten werden. Ob und in welchem Umfang sich der gesamte Komfort oder der Komfort am Ende des Tages steigern lässt, kann beim Kunden durch den Einsatz geeigneter Fragebögen überprüft werden. Sinnvoll erscheint es mir hierbei, nicht nur die unzufriedenen Kontaktlinsenträger, sondern auch die vermeintlich zufriedenen Kontaktlinsenträger noch besser zu versorgen.

Welchen zukünftigen Kontaktlinsen-Lösungen könnten Sie sich vorstellen? In den kommenden zehn, zwanzig Jahren?

Innovative Kontaktlinsen-Materialien und -Technologien werden es in Zukunft ermöglichen, neue Anwendungsgebiete zu erschließen, vorhandene Anwendungen zu erweitern und den Komfort und die Gesundheit zu verbessern. Auch wenn die Meldungen über Kontaktlinsen als Display oder zur Abgabe von Medikamenten deutlich spektakulärer sind, denke ich, die nach wie vor wichtigsten Innovationen sind jene, die den Komfort, die Gesundheit und das Sehen des Linsenträgers im Fokus haben.

Diese sind auch der Schlüssel zum Erfolg für alle anderen neuen Anwendungsgebiete. Wird einem älteren Glaukom-Patienten zur Steigerung der Compliance eine Kontaktlinse angepasst, die regelmäßig das erforderliche Medikament an das Auge abgeben soll, dann wird er diese auch nur dann regelmäßig tragen, wenn sie komfortabel ist. Einem jungen Menschen, der eine Sklerallinse zur Projektion von Daten oder zum Computerspielen tragen möchte, sollte diese doch erst dann angepasst und abgegeben werden, wenn sie der Augengesundheit nachweislich nicht schadet. Das Dilemma besteht momentan darin, dass neue innovative Anwendungsgebiete bauartbedingt oft nur mit veralteten und nicht-innovativen Materialien (z.B. HEMA) und großen Linsendicken ermöglicht werden können. Die bisherigen Standards und Spielregeln einer langfristig physiologisch gut verträglichen Kontaktlinsen-Versorgung haben jedoch auch weiterhin ihre Gültigkeit.

Neue Anwendungsgebiete haben in der Zukunft das Potenzial, neue Käuferschichten zu akquirieren. Sollten die neuen Kontaktlinsen-Träger jedoch mit ihren nicht-innovativen Materialien aus altbekannten Gründen (schlechter Komfort, schlechtes Sehen, schlechte physiologische Verträglichkeit) wieder aus dem Kontaktlinsen tragen aussteigen, so ist nichts gewonnen. Im Gegenteil, eine schlechte Publicity könnte dann dem Ruf der Kontaktlinse insgesamt eher schaden.

Unter dem Stichwort einer Patient Monitoring Contact Lens kann ich mir für die Zukunft auch vorstellen, dass der Kontaktlinsen-Träger mit Hilfsmitteln und/oder seiner Kontaktlinse im Laufe eines Tages zahlreiche Informationen sammelt, die dann im Interesse einer optimierten Anpassung ausgewertet werden. Die Daten werden dann an einen Empfänger in einem Tagesprofil übertragen. Dies könnten zum Beispiel Messungen zum Tränenfilm, zur Lidschlagfrequenz, zur Pupillengröße, zum Umfeld, zur Tragedauer, zur Ablagerungsmenge oder auch zu Parameteränderungen der Kontaktlinsen sein.

Die so gewonnenen Daten könnten zum einen neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entwicklung neuer besserer Kontaktlinsen liefern und zum andern die Kontaktlinsen-Versorgungen individualisieren. Um den Faden noch weiter zu spinnen, wäre es in ferner Zukunft gegebenenfalls auch umgekehrt denkbar, dass die Kontaktlinsen ihre Eigenschaften im Tagesverlauf den individuellen Umständen entsprechend anpasst und den Träger über einen fälligen Austausch informiert.

Wir danken Ihnen für das Gespräch!

/// Jürgen Bräunlein

ID [12509]

 

Dr. Stefan Bandlitz

ist Dozent an der HFA Köln, Research Fellow, Ophthalmic Reasearch Group, Aston University, UK, und Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie Referent auf nationalen und internationalen Kongressen. Seine langejährigen Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kontaktlinsenversorgung, bildgebende Verfahren des vorderen Augenabschnitts sowie Veränderungen der Augenoberfläche und des Tränenfilms. Kontakt: bandlitz@hfak.de

 

Beitrag aus der eyebizz 3.2020

 

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