Was sind die Themen und Trends für Kontaktlinsen, vor welchen Herausforderungen stehen KL-Experten? eyebizz fragte bei Augenoptiker*innen und Kontaktlinsen-Instituten nach und erhielt spannende Antworten von den drei Linsen-Anpasserinnen Corinna und Irina Wahrendorf aus Berlin und Sabine Mooseder aus Dachau.
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„Smarte Kontaktlinsen wären toll“
Die Entscheidung, auf Kontaktlinsen-Anpassung zu setzen, war leicht, so Diplom-Augenoptikerin Irina Wahrendorf (51): „Linsen sind interessanter als Brillen, komplizierter und anspruchsvoller. Es gibt in diesem Bereich viel mehr medizinische als kosmetische Aspekte und mehr terminliches Arbeiten.“ Zusammen mit ihrer Schwester Corinna (50, Augenoptikermeisterin) führt sie seit 2011 das von den Eltern 1978 gegründete Kontaktlinsen-Institut Wahrendorf in Berlin-Friedrichshain mit sieben Mitarbeiterinnen – ein reiner Frauenbetrieb.
Die Schwestern passen seit fast 30 Jahren Linsen an, kennen Kontaktlinsen-Fertigung und -modifikation aus dem Familienbetrieb bis zur Wende 1989. Die Fertigung gibt es seit dem Umzug 1992 nicht mehr, ein kleines Labor ist geblieben, um auch weiterhin Linsen individuell modifizieren und reparieren zu können.
Die schwerpunktmäßig medizinische Ausrichtung spiegelt sich im Einsatz der Linsentypen wider: Überwiegend feste Linsen (80 %), davon hauptsächlich Speziallinsen (60 %) – alles von Multifokal- über Keratokonus- und Sklerallinsen sowie Keratoplastik. Der kleine Anteil von weichen Kontaktlinsen besteht zu 60 % aus Wegwerflinsen, alles andere sind individuelle Ausführungen.
Die Schwestern kümmern sich mit ihrem Team auf 140 qm um anspruchsvollste Fälle. Irinas Highlights: „Ein Kind mit Down-Syndrom und Keratokonus – das Vertrauen aufzubauen, war zeitaufwendig“ oder „ein 90-jähriger, dankbarer Senior mit Aphakie, fünffacher Keratoplastik – bis diese Linse gut beweglich saß, musste ich viel daran nacharbeiten“ oder „eine fast blinde Frau mit einseitiger Sklerallinse“.
Warum der deutsche Kontaktlinsen-Markt schwächelt? Neben der skeptischen Haltung vieler Deutschen zu Neuem nennen die beiden als Hauptgrund die geringe Ansprache von Seiten der Augenoptiker*innen und Augenärzte.
Myopie-Prophylaxe im Kommen
Aber nicht nur das. „Die Ausbildung wird alle paar Jahre schlechter, zu wenig Praxis – generell zu wenig Interesse an der Kontaktlinse“, so Irina. Und Corinna ergänzt: „Die frisch ausgebildeten Augenoptiker*innen wollen beim Augenarzt oder in der Klinik als Angestellte arbeiten. Dort ist die Bezahlung besser und die Arbeit abwechslungsreicher durch vielfältigere Fälle. Samstags frei, alle 30 Minuten einen Kunden, im Gegensatz zum Augenoptikbetrieb, wo nur ab und zu Linsen angepasst werden.“
Sind Trends bei Linsen auszumachen? Die Myopie-Prophylaxe sei im Kommen. „Durch das Home-Schooling werden die Kinder myoper.“ Ortho-K-Linsen werden häufiger nachgefragt, so die Wahrendorfs, die dieses Linsenprinzip fürs Myopie-Management als am effektivsten einschätzen.
Multifokallinsen bleiben laut Corinna in der Performance eine Herausforderung: „Da bestehen physikalische Grenzen, die Linse hat nur einen Mini-Sehbereich.“ Presbyope Kontaktlinsen-Träger ergänzten eher die Fernlinsen mit einer Lesebrille oder gingen komplett über zur Gleitsichtbrille. „Ältere Menschen sind anscheinend nicht so eitel wie jüngere, da ist eine Brille wieder eher machbar.“
Nachhaltigkeit bei Kontaktlinsen spiele für das Institut schon eine Rolle, weniger für die Kunden, so Irina. Corinna sieht die Machbarkeit für die Industrie schwierig umzusetzen und zu teuer. Und für die Zukunft der Kontaktlinse? „Smarte Linsen, die mitdenken, wären toll. Wie eine Kamera mit Autofokus“, so Corinna.
„Bei Nachhaltigkeit sehen wir die Verantwortung bei der Industrie“
Interview mit Sabine Mooseder, Leiterin der Kontaktlinsenabteilung bei Tannek Optik, Dachau
Welche Innovationen bei Kontaktlinsen finden Sie aktuell spannend?
Die Entwicklung zum Thema Myopie. Derzeit spüren wir von allen Seiten ein starkes Interesse daran. Kontaktlinsen-, aber auch Glaslieferanten bewerben die dafür benötigten Produkte sehr intensiv und stellen sich für dieses Zukunftsthema breit auf. Lokale Augenärzte sprechen seit langem wieder gezielte Empfehlungen für ein Produkt bzw. für uns aus. So können wir als Fachgeschäft die Zusammenarbeit mit den Praxen wieder viel intensiver pflegen.
Gibt es Trends, die Sie beobachten?
Wir haben in unserer Kontaktlinsen-Abteilung eine stetig steigende Anzahl an Spezialkontaktlinsen (Ortho-K-, Keratokonus-, Myopie-, Multifokal-Linsen). Das Umdenken bei unseren Kunden begann bereits zum Start der Pandemie letztes Jahr. Durch eine professionelle und intensive Betreuung können wir hier viele Empfehlungen generieren.
In welchen Bereichen wünschen Sie sich bessere Produkte?
Die Auswahl bei Standardlinsen ist groß, allerdings benötigen wir bei den o. g. Speziallinsen oft mehrere Lieferanten, um den Kunden am Schluss optimal zu versorgen. Dieser Aufwand und die Anpassung werden von unseren Kunden jedoch auch wahrgenommen und wertgeschätzt, was wiederum zu einem großen Renommee in unserem Einzugsgebiet und zu Empfehlungen führt. Zudem erhöht sich die Kundenbindung zu dem einzelnen Anpasser spürbar.
Welche besonderen Wünsche haben junge KL-Träger?
Entgegen der landläufigen Meinung sind junge KL-Träger größtenteils unkompliziert. Eine schnelle, optimale Lösung erwarten sie dennoch, allerdings legt auch diese Generation Wert auf intensive Beratung. Dies hören wir häufig von Neukunden, die davor bei großen Ketten ihre Kontaktlinsen anpassen ließen. Gerade diese Kunden wünschen sich jetzt eine vertrauensvolle Betreuung durch einen KL-Spezialisten.
Ist Nachhaltigkeit bei Kontaktlinsen in Ihrem Geschäft ein Thema?
Es spielt eine immer größere Rolle, nicht nur bei den Kontaktlinsen. Jede zweite bis dritte Kunde spricht uns im Laufe der Anpassung darauf an, wie er selbst Müll vermeiden kann. Hier sehen wir die Verantwortung bei der Industrie. Ein Anfang wären wiederverwertbare Versandboxen, die seit Jahren im Apothekenhandel verwendet werden. Ein großer Wunsch wären voll biologisch abbaubare Blister. Mal sehen, wer als erster damit in der „Höhle des Löwen“ auftaucht!
Welche Erwartungen haben Sie an zukünftige Kontaktlinsen-Innovationen?
Wir sehen die Kontaktlinse eher im medizinischen Bereich. Ein großer Vorteil wäre es, wenn sie eine medikamentöse Wirkung haben würde. Hilfe bei trockenen Augen wäre ein Anfang bis hin zu dauerhafter Medikation. Dies hätte gleich mehrere Vorteile: Regelmäßige, richtige Einnahme von Medikamenten, Reduzierung von Müll (Verpackungen, Ampullen) und eine erhöhte Kundenbindung über den Fachhandel.