Eine Glosse von Augenoptiker und Autor Dietmar Böhm aus der eyebizz 3.2017:
Wer kennt sie nicht? Mitmenschen, die MES-Kontaktlinsen brauchen: MES = mal eben schnell. Natürlich haben wir Augenoptiker Verständnis für Menschen, denen plötzlich völlig Unverhofftes passiert, wie Hochzeit, Urlaub, ein Ball usw. So was kann man ja nicht planen.
So wieder neulich. Kunde betritt das Geschäft am Freitag, 20 Minuten vor Feierabend.
Kunde: Ich brauche Kontaktlinsen, ich fahre morgen zum Snowboarden, weiß aber meine Stärke der letzten Linsen nicht mehr.
Ich: Kein Problem. Werden schon eine Lösung finden. Geben Sie mir mal Ihre Brille.
Brille unter den Scheitel gehalten. Glück gehabt, sphärische Gläser mit –4,00 dpt. Da haben wir sicher was da.
Na, kommen Sie mal mit ins Linsenstudio. Da rechts sind Waschbecken, Seife und Handtücher. Ich schau mal schnell nach den passenden Linsen.
In einem gut sortierten Fachgeschäft ist immer alles parat.
Nehmen Sie Platz! Hier die Linsen, links und rechts sind gleich, können Sie also nicht verwechseln.
Kunde: Danke! (Erleichterung macht sich breit, dann kommt Nervosität auf.)
Nachdem die Linse am rechten Auge erst nach dem sechsten Versuch ihr Ziel gefunden hat und der fünfte Versuch am linken Auge scheitert, meint der
Kunde: Habe schon seit über zwei Jahren keine Kontaktlinsen mehr getragen. Es fällt mir gerade sehr schwer.
Ich: Ja, das sieht man dem Auge an.
Noch schnell meinen Spezialtipp zum Besten gegeben, und zwei Versuche später fluppt die kleine lästige Plastikscheibe endlich auf die Hornhaut. Überglücklich mit tränendem Auge sieht mich der Kunde an und lächelt verkrampft.
Kunde: Rechts ist okay. Links verschwommen.
Ich: Warten wir ein paar Minuten und schauen dann mal raus.
Klar, jetzt fünf Minuten vor Feierabend ist es dunkel im Winter und zu sehen sind nur Lichter.
Und, was sehen Sie? Alles klar und deutlich? Trauen Sie sich, damit Auto zu fahren?
Kunde: Super, alles deutlich. Super scharf. Danke. Ich sehe prima.
Ich: Na, das schauen wir uns noch mal genauer an, mit einem Sehtest und der Spaltlampe, ob die Linsen richtig sitzen.
Kunde: Warum? Passt doch. Alles klar zu sehen.
Ich: Weil Sie schon Kontaktlinsen getragen haben, ist das soweit okay. Aber sie müssen richtig sitzen, und wir müssen schauen, ob die Stärke passt.
Dem Kunden die Messbrille aufgesetzt. Linkes Auge abgedeckt. Am Schirm sind nach dem Einschalten die Sehzeichen für 60 Prozent zu sehen. Nur nicht für ihn. Hä? Bitte? Er hat doch gerade alles draußen gesehen und traut sich, Auto zu fahren. Messbrille gecheckt, kein Elefant oder sonstiges Hindernis davor. Bei 40 Prozent kommen die ersten Reaktionen.
Kunde: Ja, jetzt. K A Z P . . .
Ich: OK. Schauen wir mal mit dem linken Auge.
Rechts abgedeckt. Sehzeichen auf 60 Prozent eingestellt.
Kunde: Nein. Seh nix.
Auch hier erste Reaktionen bei 40 Prozent.
Ich: Wie alt ist denn die Brille?
Kunde: So zwei Jahre.
Mist, hätte ich vielleicht mal vorher fragen sollen.
Ich: Ich decke jetzt das rechte Auge wieder auf. Was können Sie jetzt lesen?
Alles was über 50 Prozent ist, kann der Kunde nicht mehr lesen. Also Linsen wieder raus und nur mal eben vor den Autorefraktometer gesetzt. Böses Erwachen. Bald 2 dpt Abweichung zur Brille: –5,50 und –5,75.
Kunde: Ich habe mir schon so was gedacht. Ich hatte das Gefühl, ich sehe schlechter.
Ich muss dem Kunden leider mitteilen, dass aus den Linsen nichts wird, denn wir müssen neu vermessen, und er muss vorher zum Augenarzt. In zwei Jahren eine so große Abweichung, das muss gecheckt werden.
So was passiert, wenn man den Kunden helfen will und darauf vertraut, dass sie sich auskennen. Nein, immer den Leitfaden beachten und nicht immer vertrauen.
Genau eine Woche später, es ist wieder Freitag und 17 Uhr, betritt eine Kundin das Geschäft. Sie ist Stammkundin und trägt gerne ausgefallene bunte Brillen mit +4,50 +1,25 125° und +4,25 +1,50 95°. Sie hatte noch nie Kontaktlinsen.
Kundin: Du, ich brauche Kontaktlinsen für morgen. Ich heirate, doch die Brillen passen alle nicht zum Brautkleid.
Ja nee, ist klar.
Dietmar Böhm ist Augenoptiker, Fotograf, Fachtrainer, Autor u.v.m. Er liebt die Augenoptik und schaut Kunden und Augenoptikern auf den Mund.