Manche sprechen von einer Volkskrankheit: Etwa 15 Millionen Menschen in Deutschland leiden laut Deutschem Ärzteblatt unter trockenen Augen. Inzwischen betrifft das sogenannte Sicca-Syndrom unterschiedliche Altersklassen. Ist die Diagnose „Trockenes Auge“ notwendiger Grund, den Kontaktlinsen Adieu zu sagen? Nein! – (Teil 2)
Probanden in allen Altersklassen
Das trockene Auge betrifft nicht nur die über 50-Jährigen. Immer mehr jüngere Menschen und Kinder sind davon betroffen. Auch Kontaktlinsen können zu den Symptomen beitragen. Durch eine umfangreiche Anamnese und spezielle Produktauswahl muss der Kontaktlinsenkunde allerdings noch lange nicht entmutigt zur Brille greifen.
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Bei einem Anteil von mittlerweile 30 bis 50 Prozent der Kontaktlinsenträger, die unter dem Sicca-Syndrom leiden (eyebizz 5.2018), wird das Thema auch immer häufiger Teil des Beratungsgesprächs. Betroffene klagen oftmals über ein störendes Sandkorngefühl oder tränende Augen, sobald die Kontaktlinsen eingesetzt sind.
Dabei sind es nicht nur Kunden, die sich mit ungeeigneten Kontaktlinsen versorgen – die Linsen passen weder zu ihrem Tränenfilm noch zu den Tragegewohnheiten – die sich dann an einen Spezialisten wenden. Die Wahl der falschen Kontaktlinse kann die Entstehung des trockenen Auges begünstigen, allerdings verändern sich manchmal auch bei fachmännisch angepassten Linsen die Bedingungen, die zu einem trockenen Auge führen können.
Wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines trockenen Auges ist, kann im Geschäft bereits eingeschätzt werden, wenn der Kunde den Laden betritt. Geschlecht und Alter geben einen ersten Anhaltspunkt. Bei der weiteren Durchführung der Anamnese finden sich dann unter Umständen zusätzliche Aspekte, die den Verdacht bestärken, dass die Sicca-Symptomatik berücksichtigt werden muss. Dafür ist ein Anamnesebogen, der sich einfach und individuell selbst gestalten lässt, hilfreich.
Anamnese und Tests
Die Feststellung, ob ein trockenes Auge vorliegt oder nicht, beinhaltet zusätzlich zu den Fragen auf dem Anamnesebogen auch andere unterschiedliche Testmöglichkeiten, die angewandt werden können.
Neben der Messung des Tränenmeniskus, der Tränenfilmaufreißzeit und der Messung der LIPCOFs mit der Spaltlampe (siehe eyebizz 1.2020, Tanja Leideck) können mit Hilfe des Meibo-Scans auch die Meibomschen Drüsen dargestellt werden. Diese geben einen zusätzlichen Hinweis auf die Sicca-Thematik. Es sollten auf jeden Fall fünf Tests durchgeführt werden, um eine vollständige Analyse zu bekommen (Oculus Dry Eye Guide).
Produkt- und Materialwahl bei Tauschlinsen
Wenn nach der Anamnese die Sicca-Symptomatik festgestellt wurde, scheiden sich bei der Auswahl der Kontaktlinse die Geister. Ein entscheidender Anhaltspunkt ist die Häufigkeit, mit der der Kunde die Linse tragen möchte: Soll sie als Ersatz oder in Kombination mit der Brille getragen werden? Gezielte Fragen helfen, die Kundenwünsche zu eruieren.
Erfahrungsgemäß verlängern gerade junge Linsenträger die Tragezeiten im Laufe der Zeit. Der Absicht, die Linsen anfangs nur beim Sport zu tragen, folgt die Nutzung auch bei nicht-sportlichen Aktivitäten. Hier sind die Erfahrung des Kontaktlinsen-Spezialisten und das aktive Zuhören im Gespräch von Nutzen. Denn gerade bei weichen Linsen ist die Wahl des richtigen Materials noch wichtiger, um die Symptomatik des trockenen Auges nicht zu verstärken. Bei langen Tragezeiten ist eine formstabile Linse die erste Wahl.
Die formstabile Lösung – Plasmabeschichtung hilfreich
Wenn die Entscheidung auf die formstabile Kontaktlinse fällt, spielen andere Überlegungen als bei der Weichlinse bei der Materialwahl eine Rolle. Generell sollte bei der Hartlinse der Benetzungswinkel in die Überlegungen mit einbezogen werden. Ist er klein, spricht das für die gute Benetzbarkeit der Linse. Dadurch wird die schnelle Ausbreitung einer dünnen und gleichmäßigen Tränenschicht aufrechterhalten. Zudem wird durch die Integration der Kontaktlinse der Tränenfilmaustausch nicht behindert und die optischen Abbildungseigenschaften bleiben erhalten.
Eine weitere Möglichkeit, die Benetzbarkeit der formstabilen Kontaktlinse zu erhöhen, besteht darin, mit einer Plasmabeschichtung zu arbeiten. Die Verträglichkeit bei Sicca-Kunden erhöht sich dadurch deutlich.
Sicca und weiche Kontaktlinsen
Der Anteil der Tauschlinsen ist mit 88,2 Prozent (Quelle: Branchenreport Augenoptik, 2017/2018) am größten. Weiche Systeme dehydrieren auf dem Auge im Laufe des Tages um etwa zehn bis 20 Prozent, was das Sehen und den Tragekomfort verschlechtert. Eine dehydrierte Linse lagert zudem schneller Schmutz an.
Diese Aspekte sollten bei der Materialauswahl berücksichtigt werden. Ein modernes Silikonhydrogel ist das Produkt der ersten Wahl, da im Gegensatz dazu Hydrogele die Flüssigkeit wie ein Schwamm aufnehmen und dem Auge Flüssigkeit entziehen, um ihre Form zu behalten. Dies bedeutet Einschränkungen beim Tragekomfort und beim Sehen.
Die Hersteller bieten verschiedene Lösungen an. Oftmals wird auf ein Material mit einem Feuchtigkeitsspeicher zurückgegriffen, um einen guten Tragekomfort zu gewährleisten. Die Linse unterstützt damit den natürlichen Tränenfilm, und das Auge ist während der Tragedauer gut befeuchtet. Trotzdem sollte die Tragedauer nicht überschritten werden. Die Kontaktlinsenpflege spielt hier eine große Rolle. Eine unkompliziertere, aber nicht so preisgünstige Variante wäre die Tageslinse, bei der die Pflege komplett entfällt.
Sicca und Kontaktlinsenpflege
Wenn nun die Kontaktlinse entsprechend der Sicca-Symptomatik und im passenden Material ausgewählt ist, gehört die Aufmerksamkeit, außer bei der Tageslinse, der Pflege. Die Pflege der Linsen bei Trägern mit trockenen Augen erfordert im Beratungsgespräch besondere Beachtung. Auf Konservierungsmittel sollte verzichten werden, weil sie sich ungünstig auf den Tränenfilm auswirken können. Im besten Fall enthält das Peroxid-System zusätzlich benetzende Substanzen. Da hier die manuelle Reinigung entfällt, ist die Handhabung für den Anwender unkompliziert, vorausgesetzt er hält sich bei der Anwendung an die exakte Vorgehensweise. Ein zusätzlicher Aspekt, der für die Empfehlung eines Peroxidsystems spricht, ist die Kundenbindung. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kontaktlinsenträger seine Pflege woanders kauft, verringert sich in diesem Fall.
Bei formstabilen Linsen, gerade wenn sie beschichtet sind, muss auf abrasive Reiniger verzichtet werden. Bei der Aufbewahrungslösung empfiehlt sich ebenfalls ein Produkt, das Nachbenetzungskomponenten enthält. Das erhöht den Tragekomfort.
Nebenbei: Wenn zudem der Halbjahresbedarf an Linsenwasser angeboten wird, ist der Träger für Kontaktlinse und Pflege gewonnen. Zu einem Halbjahresbedarf an Kontaktlinsen gehört immer ein Halbjahresbedarf Pflegemittel. Unabhängig davon, welches System verwendet wird. Das funktioniert ebenfalls bei einem jährlichen Tausch der Linsen. Der Kunde hat den Vorteil, dass er für die Zeit, in denen er die Linsen trägt, bis zur nächsten Kontrolle komplett versorgt ist.
Wenn die Wahl auf ein All-in-one-Pflegemittel fällt, ist darauf zu achten, dass darin ebenfalls nachbenetzende Stoffe enthalten sind, möglichst mit einer langen Verweildauer am Auge. Dadurch wird ein ausreichender Tragekomfort gewährleistet. In diesem Fall ist eine zusätzliche manuelle Reinigung für den Kunden von besonderer Bedeutung. Denn wie schon erwähnt, verschlechtert sich der Tragekomfort sonst zusätzlich durch Ablagerungen.
Fazit
Die Symptomatik trockenes Auge betrifft immer mehr Kunden und damit auch Kontaktlinsenträger. Unabhängig davon, ob die Versorgung mit weichen oder formstabilen Kontaktlinsen durchgeführt wird, steht und fällt die Verträglichkeit mit dem Material der Kontaktlinse und der dazugehörigen Pflege. Je nachdem, wie umfangreich die Beratung stattfindet, kann der Kunde trotz Sicca Linsen tragen oder als Linsenträger verloren sein.
Gerade in einer Zeit, in der es gilt, sich vom Wettbewerb abzugrenzen und Alleinstellungsmerkmale zu finden, ist das Thema trockenes Auge Herausforderung und Chance zugleich. Durch aktives Zuhören und zielführend gestellte Fragen lässt sich eine dankbare und treue Zielgruppe erschließen und Drop-outs vermeiden.
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Tanja Leideck ist Augenoptikermeisterin, staatlich geprüfte Augenoptikerin, Coach und Inhaberin von Ophthalmo Consulting. Seit 30 Jahren ist sie in der augenoptischen Branche u.a. im Außendienst tätig und gibt ihre Erfahrungen mittlerweile als Unternehmenscoach in Vorträgen, Workshops, individuellen Schulungen und Trainings weiter.