100 Jahre Moderne, hundert Jahre Bauhaus. Durch die Brille „Bauhaus“ fallen heute nicht nur die moderne Architektur ins Auge, sondern alle Design-Ansätze, die sich auf ein reduziertes „Form follows Function“ beziehen. Mit der Neueröffnung zweier Museen in Weimar und Dessau neigt sich das Jubiläumsjahr dem Ende zu. Was bleibt von der Bauhaus-Schule in Weimar? Eine Annäherung.
Mit dem Bauhaus verbinden sich große Namen wie die des Gründungsdirektors Walter Gropius (1883–1969), Mies van der Rohe, Marcel Breuer oder Wilhelm Wagenfeld. Es geht um Stil-Ikonen wie die Wiege von Peter Keler, Türklinken von Adolf Meyer, Tischleuchten von Wagenfeld, Breuers Wassily-Sessel oder das Haus am Horn von Georg Muche. Alles in allem Objekte, die heute den Status von zeitlosen Klassikern haben.
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Vorweg: Die Zusammensetzung der Meister und Lehrlinge des Bauhauses war äußerst heterogen. Insofern ist es vermessen, überhaupt von „den Bauhäuslern“ zu sprechen. Manche davon waren preußische Großbürgersöhne, wissenschaftlich aufgestellt, andere marxistisch oder auch – wie mancherorts in der Artikelflut des Jubiläumsjahres zu lesen – missionarisch sektiererisch. Sicher gab es nicht ein einziges Ziel dieser Gruppe von Menschen, die sich allerdings gerade durch ihre Internationalität, Offenheit und Streitbarkeit auszeichnete. Und trotzdem ging es allen um die Forderung nach dem „Bau der Zukunft“, wie im Gründungsmanifest gefordert.
Gestaltung des neuen Alltags
Zentrale Fragen, die sich die Bauhäusler dabei stellten, sind auch heute höchst aktuell: Wie kann der neue Alltag gestaltet werden? Und wie das gemeinsame Leben? Wer meint, die Antworten der Bauhäusler auf das Hier und Jetzt übertragen zu können, muss scheitern, denn die Voraussetzungen der Industrialisierung nach dem Ersten Weltkrieg waren andere als heute.
Allerdings lohnt ein Ausflug in die damalige Gedankenwelt. Inspirationen gibt es satt. Schließlich ist der Neustart in unsere digitale Welt mit ähnlichen Umbrüchen verbunden. Vor allem das methodische Vorgehen ist interessant.
Raus aus dem Gewohnten
Um Alltagsgegenstände, vor allem aber Architektur, neu denken zu können, ging Gropius den Weg, die bis dahin gängige Trennung zwischen Kunst und Handwerk aufzuheben. Er vereinigte die Hochschule für bildende Kunst mit der Kunstgewerbeschule zum „Staatlichen Bauhaus in Weimar“. Interdisziplinäres Denken als Maxime ließe sich davon auch als Forderung für heute ableiten.
Heute wie damals: Es geht um ästhetisches, lebensnahes Design, das ökonomisch sinnvoll ist, ressourcenschonend und bequem. Für klar strukturiertes, schnörkelloses Design bürgerte sich schnell der Begriff „Bauhaus-Stil“ ein. Egal, ob in Bezug auf Architektur, Möbel oder auch Produktdesign. Vier Kriterien liegen, so Gropius, der Bauhaus-Idee von Beginn an zugrunde: Ein Objekt soll zugleich einfach, schön, funktional und für alle zugänglich, sprich bezahlbar sein.
Bauhaus: Eine weltumspannende Idee
Mit solchen, damals revolutionären Ideen eckten die Schulleiter an. Auch deshalb währte die Geschichte des Bauhauses nur kurz, nach der Gründung 1919 nur 14 Jahre in Deutschland. Von den Nationalkonservativen des Thüringer Landtages wurde der Etat 1924 um die Hälfte gekürzt, woraufhin die Kunstschule von Weimar nach Dessau wechselte. Aber 1928 verließ Walter Gropius auch Dessau, um in die USA zu gehen. Mies van der Rohe folgte 1934. Die Nationalsozialisten sorgten bereits 1932 dafür, dass das Bauhaus in Dessau geschlossen wurde.
Mies formulierte nach dem letzten Aufbäumen in Berlin, wo er das Bauhaus mit nur 19 Studenten bis April 1933 als Privatinstitut weiterführte, weitsichtig, dass das Bauhaus eine weltumspannende Idee ist. Durch die Brille „Bauhaus“ fallen heute nicht nur die moderne Architektur ins Auge, sondern alle Design-Ansätze, die sich auf ein reduziertes „Form follows Function“ beziehen, und die sich auch im heutigen Brillen-Design wiederfinden.
Experimentelles Herangehen
Der Geist des Bauhauses ist das Experiment, formulierte der Gründer Walter Gropius das Mantra seiner Schule. Auch dies bleibt als Forderung an jedes Unternehmen heute: die permanente Selbstkontrolle mit der Bereitschaft zu einer ebenso permanenten Veränderung.
Die Vision
Im Kleinen versuchte die Bauhaus-Kommune damals das Ideal einer gleichberechtigten, solidarischen Gesellschaft zu verwirklichen. Wer will das heute noch? Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ist ein aktuell oft diskutiertes Thema. Aber Solidarität scheint ein Wert von gestern zu sein, heute heißt das oberste Gebot: Individualität. Passt dies in ein Bauhaus-Konzept? Lassen wir die Frage offen.
Aber auch wir brauchen angesichts von Millionen von Menschen ohne ausreichende Möglichkeit, an Nahrung, Bildung – auch Sehhilfen – zu kommen, Utopien und Visionen. Vielleicht auch mehr von Bauhäusler Johannes Ittens lebensbejahendem Credo: „Unser Spiel, unser Fest, unsere Arbeit!“
Stellvertretend für Designer und Kunstschaffende fragte eyebizz Hartmut Sy, Bildhauer aus Berlin, wie er das Wirken der Bauhaus-Schule aus heutiger Sicht beurteilt:
„Heute wird vieles im Bereich Design und Architektur mit Bauhaus in Zusammenhang gebracht, was streng genommen nur wenig damit zu tun hat. Doch schmälert das nicht die große historische Leistung der Bewegung. In einer Zeit, in der pompöse und verschnörkelte Formen wie im Jugendstil, Historismus oder Art-Deco vorherrschend waren, bot das Bauhaus ein faszinierendes Gegenprogramm: Klarheit, Einfachheit und Ruhe im Design statt Ornamentik, Überladenheit und Wuchtigkeit.
Aus meiner Sicht liefert das gerade heute wieder gute Impulse. Zumal wir in der Wohlstandsgesellschaft nahezu ersticken am Zuviel von allem, und die Auswirkungen der Digitalisierung und Globalisierung zu einer gefühlten Orientierungslosigkeit führen. So gesehen kann schlichtes, schönes, doch zweckmäßiges Design Orientierung geben. Einige Sammler erkennen in der klaren, reduzierten Formensprache meiner abstrakten Metallskulpturen Bezüge zum Bauhaus. Bewusst ist mir das nicht, obgleich ich mit vielen Designstücken aus dem Bauhaus sympathisiere.“