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61. Kolloquium der Fielmann Akademie

Neues zu Akkommodation und Vergenz

Im Rahmen des 61. Kolloquiums der Fielmann Akademie diskutierte Prof. Dr. Hans-Jürgen Grein, Leiter Wissenschaft, Mitte März mit Referenten vor rund 200 Teilnehmern über bekannte Zusammenhänge und neue Erkenntnisse zu Akkommodation und Vergenz sowie über Lösungsansätze bei Störungen.

Um binokular einfach zu sehen, müssen Akkommodation und Vergenz-Stellung der Augen sowohl im statischen als auch im dynamischen Zustand optimal aufeinander abgestimmt sein. Der Komplexität und Fragilität dieses Systems werden wir uns häufig erst dann bewusst, wenn Störungen auftreten, was zu Doppeltsehen oder Anstrengungs-Beschwerden führen kann.

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Dr. Philipp Hessler, M.Sc. Optometrie/ Vision Science, Dozent an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena und Optometrist bei Optik Hessler in Klingenberg und Erlenbach, eröffnete die Vorträge mit einer umfassenden Übersicht über das Zusammenspiel von Akkommodation und Vergenz. Die Akkommodation sei die Fähigkeit der Augen zur Brechwert-Änderung. Sie sei zudem kein isolierter unilateraler Prozess, sondern erfolge stets beidseits, auch wenn nur ein Auge Akkommodations-Reize erhalte, zum Beispiel, wenn ein Auge abgedeckt werde.

Elemente der Akkommodation

Der Regelvorgang der Akkommodation sei durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Die Ruhelage der Akkommodation werde auch als tonische Akkommodation bezeichnet. Sie habe für die optometrische Praxis keine Relevanz und finde nur statt, wenn sympathisches und para-sympathisches Nervensystem einen ausgeglichenen Tonus haben. Dieser Zustand komme vielleicht in dunkelster Nacht vor.

Den Einfluss der proximalen Akkommodation hingegen, die durch das Gefühl der Nähe entstehe, sollten Augenoptiker in ihrem Alltag kennen und berücksichtigen. Diese bereite beispielsweise bei einer Autorefraktometer-Messung oder bei der Refraktions-Bestimmung in einem kleinen Prüfraum gelegentlich Probleme und führe dazu, dass die erzielten Mess-Ergebnisse nicht dem fern-akkommodierten Zustand entsprechen.

Dr. Philipp Hessler
Dr. Philipp Hessler (Quelle: Fielmann Akademie)

Die Haupt-Komponente der akkommodativen Adaptation stelle die Reflex-Akkommodation. Sie erfolge basierend auf Unschärfe-Wahrnehmung und führe dazu, das angeblickte Objekt zu fokussieren.

Als letztes Element der Akkommodation nannte Hessler die Vergenz-Akkommodation, die Anpassung der Augenstellung, die sich aus der Kopplung von Akkommodation und Vergenz ergebe. Die Regulierung der Vergenz erfolge auf ähnliche Weise. Anstelle der Bild-Unschärfe als Anreiz zur Vergenz sei für die fusionale Vergenz die Vermeidung von Doppelbildern die treibende Kraft des adaptiven Prozesses.

Akkommodation – wann prüfen?

Die Akkommodation habe im augenoptischen Alltag eine sehr hohe Relevanz und gleichzeitig sei sie eine häufig vernachlässigte Komponente. Häufig sei alleine die Presbyopie als limitierender Einflussfaktor auf die Akkommodation in unseren Köpfen verankert. Akkommodations-Störungen können jedoch bereits bei jüngeren Kunden auftreten. Da es keine standardisierte Methode für die Erhebung von nicht-presbyopen akkommodativen Störungen gebe, seien die Zahlen zur Prävalenz in den Studien sehr schwankend. Aus seiner eigenen Erfahrung seien etwa zehn bis 15 Prozent der jüngeren Kunden betroffen.

Hinweise für die Notwendigkeit einer Akkommodations-Prüfung ergeben sich meist aus der Anamnese. So seien Kopfschmerzen, Ermüdung beim Lesen oder am Monitor, Schwierigkeiten beim Distanzwechsel, Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten, Druckgefühl in den Augen oder häufiges Augenreiben wichtige Anhaltspunkte.

Zudem sollten auch bei Kindern Medikamenten-Einnahmen gezielt abgefragt werden. Das zur Therapie von AD(H)S eingesetzte Methylphenidat (Ritalin) führe nicht selten zu Akkommodations-Störungen. Manche Kinder seien durch das Medikament in ihrer Akkommodations-Fähigkeit eingeschränkt, andere wiederum haben Probleme, diese loszulassen. Eine Versorgung mit Prismen sei in diesen Fällen oftmals nicht zielführend. Mit Nahzusatz oder visuellem Training seien viele Kunden besser beraten.

Nah-Arbeit und Myopie

Dr. rer. nat. Sandra Wagner (FAAO), M.Sc. Augenoptik und Psychophysik, ist Postdoc Researcher und stellvertretende Gruppenleiterin der Applied Vision Research Group des Forschungs-Instituts für Augenheilkunde der Universität Tübingen. Ihre aktuellen Forschungen widmen sich dem Zusammenhang zwischen Akkommodation und Myopie.

Aktuell nehme die Prävalenz der Myopie in allen Industrie-Nationen erheblich zu. Die Myopie steige an, wenn die Nah-Arbeit einsetze, also etwa mit Schulbeginn. Zudem seien Menschen kurzsichtiger, je höher ihr Bildungsstand oder Ausbildungsgrad sei. Dies lege die Vermutung nahe, dass Nah-Arbeit und Myopie zusammenhängen.

Dr. Sandra Wagner
Dr. Sandra Wagner (Quelle: Fielmann Akademie)

Diese Idee sei nicht neu. Bereits 1812 habe es erste Publikationen gegeben, die das Einhalten eines bestimmten Nah-Abstandes propagierten. Bereits seit Langem wisse man, dass der Prozess der Brechkraft-Änderung der Augenlinse zur Anpassung an unterschiedliche Betrachtungs-Entfernungen durch den Ziliarkörper initiiert werden.

Der genaue Prozess der Akkommodation sei bislang jedoch nicht vollständig verstanden. Dies werde allerdings erforderlich, um die Mechanismen der Myopie-Entwicklung zu verstehen und eine erfolgreiche und zielgerichtete Prävention anzubieten, erläuterte Wagner.

Ziliarmuskel-Morphologie und Biofeedback-Training

In eigenen Untersuchungen konnte Wagner zeigen, dass Nah-Arbeit einen Einfluss auf die Morphologie des Ziliarmuskels und die Akkommodation habe. So falle die Dickenzunahme des Ziliarmuskels bei Myopen geringer aus gegenüber Emmetropen. Nach lang-anhaltendem Lesen zeige sich sowohl bei Myopen als auch bei Emmetropen entgegen der Erwartung eine Verdünnung des Ziliarmuskels.

Bei Myopen gingen die Veränderungen der Ziliarmuskel-Dicke mit einer anhaltenden Brechkraft-Änderung in der Ferne um ca. 0,25 Dioptrien Richtung Myopie einher. Emmetrope hingegen haben kaum eine Veränderung der Brechkraft vor und nach einer längeren Lesephase in kurzer Distanz.

Darüber hinaus untersuchte Wagner die Möglichkeit, die Akkommodation mittels auditivem Biofeedback-Training zu verbessern. Dabei erhalte der Patient ein akustisches oder visuelles Feedback über Funktionen seines Körpers, die eigentlich unbewusst kontrolliert werden. Wagner setzte die Methode ein, um die Akkommodation zu erhöhen und so eine Verbesserung der Akkommodations-Genauigkeit zu erzielen.

In einer Vergleichs-Studie zwischen Emmetropen und Myopen konnte sie eine signifikante Beeinflussung des „lag of accommodation“ unabhängig von Refraktion und Objekt-Abstand durch das Training zeigen. Bei Myopen sei das Training erfolgreicher gewesen. Zur Korrektion haben die myopen Patienten Einstärken-Kontaktlinsen oder multifokale Kontaktlinsen getragen. Der Trainings-Effekt habe ohne weiteres Training bei einigen Probanden über die Dauer einer Woche angehalten.

„Akkommodation und Linse sind verformbar und somit auch trainierbar“, resümierte Wagner. Zudem wecken die Ergebnisse die Hoffnung, dass eine Kombination aus dem Tragen multifokaler Kontaktlinsen und Biofeedback-Training auch bei Kindern funktioniere und die Myopie-Progression positiv beeinflussen könne.

Visualtraining bei Akkommodations-Störungen

„Im nächsten Vortrag wird es praktisch“, kündigte Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jürgen Grein den letzten Referenten des Abends an. Marco Schätzing, B.Sc., Optometrist und Visualtrainer im eigenen Betrieb in Leipzig, nahm die Zuhörer mit in seine tägliche Praxis und präsentierte spannende Fälle.

Aus funktional-optometrischer Sicht lassen sich nicht alle visuellen Probleme mit einer Brille beheben. Gelegentlich müsse das Sehverhalten verändert und das Sehen neu gelernt werden. Die Grundlage der Trainings stelle das Modell nach Skeffington dar, das den Vorgang des Sehens und Verstehens in vier Teilbereiche gliedere.

Marco Schätzing
Marco Schätzing (Quelle: Fielmann Akademie)

Dazu zähle die Augenmotorik, die die gleitenden Augen-Folgebewegungen umfasse, die wichtig seien für das Erfassen von Schriftsprache. Die Akkommodation erlaube die Fokussierung von Objekten in unterschiedlichen Entfernungen. Die Vergenz-Stellung der Augen führe dazu, dass sich die Fixierlinien beider Augen im angeblickten Objekt treffen. Störungen in diesem Bereich führen zur Wahrnehmung von Doppelbildern. In der letzten Ebene, der Visualisation, erfolge die Informations-Verarbeitung und visuelle Wahrnehmung.

Werde einer der Bereiche unzureichend beherrscht, könne dies zu Problemen führen. Insbesondere Kinder können unscharfes Sehen oder Doppelbild-Wahrnehmungen häufig nicht benennen, wenn sie das Sehen noch nie anders erlebt haben. Häufige Kopfschmerzen, Konzentrations-Schwierigkeiten oder Probleme beim Fangen von Bällen können Hinweise liefern, das Zusammenspiel aus Akkommodation und Vergenz genauer unter die Lupe zu nehmen.

Typische Störungen des Binokular-Sehens

Als häufigste Störung des Binokular-Sehens nannte Schätzing die Konvergenz-Insuffizienz. Sie zeichne sich durch eine im Vergleich zur Ferne deutlich größere Exophorie in der Nähe aus. Sehprobleme manifestieren sich zumeist in der Nähe. Diese fallen nur auf, wenn im Rahmen einer binokularen Versorgung auch eine Messung in der Nähe stattfinde. Konvergenz-Insuffizienzen lassen sich in der Regel mit wenigen Trainings-Einheiten stabil trainieren.

Als zweithäufigste Störung führte Schätzing die Akkommodations-Insuffizienz an, die vor allem durch eine zu geringe Akkommodations-Amplitude charakterisiert sei. Betroffene empfinden vor allem Unschärfe in der Nähe. Eine optimale Korrektion bestehe in einer Kombination aus Nahzusatz und Visualtraining.

Das Trainings-Programm werde für jeden Kunden individuell erstellt und ergebe sich aus einer ausführlichen visuellen Analyse. Die erste Trainings-Einheit umfasse etwa 60 Minuten und werde gemeinsam mit dem Kunden absolviert. Die erlernten Übungen solle der Kunde über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen zu Hause durchführen. Um die Kunden-Adhärenz zu erhalten, sollten die Übungsphasen zu Hause nicht mehr als 15 Minuten Zeit in Anspruch nehmen.

Alle vier bis sechs Wochen erfolge eine Erfolgskontrolle und eine Anpassung des Trainings. Die Anzahl der Trainings-Einheiten ergebe sich aus der Komplexität des Befundes. „Akkommodation und Vergenz sind ein Paar, die immer gemeinsam betrachtet werden müssen.“ Diese gelte für das Training und für die visuelle Analyse, fasste Schätzing zusammen.

 

Das 62. Kolloquium der Fielmann Akademie Schloss Plön findet am 12. Juni 2024 wieder als Web-Seminar statt.

 

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