Für das 50. Kolloquium der Fielmann Akademie Mitte März war die Augenoptik der Zukunft das Thema: Wie wird der Brillenkauf zukünftig aussehen? Was können KI-Systeme für Augenoptik und Augenheilkunde leisten? Rund 700 Teilnehmer waren online beim Jubiläum dabei, den Keynote-Vortrag hielt Marc Fielmann, Vorstandsvorsitzender der Fielmann AG.
Die Themen Omnichannel, Online-Learning und Künstliche Intelligenz bestimmen zunehmend auch Augenoptik und Augenheilkunde. Mit Entwicklungen gehen Veränderungen einher, dies löste schon immer Skepsis und Ängste bei den betroffenen Personengruppen aus. Prof. Dr. Hans-Jürgen Grein, Leiter Wissenschaft der Fielmann Akademie, übergab beim 50. Kolloquium das Wort an den Keynote-Referenten Marc Fielmann mit der Frage: „Werden wir in fünf Jahren unsere Brillen immer noch so kaufen wie heute?“
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Sein Vater habe das Unternehmen aus dem Bedürfnis heraus gegründet, die Augenoptik kundenfreundlicher zu gestalten, blickte Marc Fielmann auf die Anfänge zurück. „Der Kunde bist du“ sei seither das Leitbild des Unternehmens. Das Thema der aktuellen Zeit: der Online-Brillenkauf. Schon heute nutzten mehr als 70 Prozent der Kunden beim Brillenkauf digitale Services, wie die Online-Terminvereinbarung oder die Online-Nachverfolgung des Einkaufs.
Für die Auswahl und Anpassung einer Brille führe derzeit jedoch noch kein Weg am stationären Geschäft vorbei. Dies bestätige die Entwicklung der ursprünglich als reine Online-Optiker gestarteten Unternehmen, die nun die Kooperation mit Partnern suchten oder eigene, stationäre Geschäfte eröffnen, um erfolgreich zu sein.
„Die Brille aus dem Online-Shop ist ein Zufallsprodukt“, konstatierte Fielmann. Bislang fehlen die erforderlichen Messtechnologien, um von der Brillenauswahl über die Refraktionsbestimmung bis hin zur optometrischen Anpassung alle Daten automatisiert zu erheben, um darauf basierend eine Brille in der gleichen Qualität zu fertigen, wie sie der stationäre Handel liefere. Dabei sei nicht jede online verkaufte Brille schlecht, aber entlang der Risikofaktoren, wie zum Beispiel hoher Sehstärken, Anamnesebefunde oder der Gesichtsphysiognomie steige die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers.
Fielmann: Offen für Kooperationen
Über Fielmann Ventures habe man inzwischen mehr als 15 Millionen Euro in augenoptische Messtechnologie investiert. Gemeinsam mit dem französischen Unternehmen Fitting Box gebe bereits eine Technologie, mit der Millionen Gesichter, mehr als 120.000 Brillen und Sonnenbrillen 3D gescannt wurden. Die Lösungen von FittingBox stünden der gesamten Branche weltweit zur Verfügung, würden derzeit vor allem als Beratungshilfe in den stationären Geschäften oder für den Online-Kauf von Sonnenbrillen eingesetzt.
Diese Technologie sei jedoch auch eine hervorragende Grundlage für eine Eigenentwicklung der Fielmann Ventures gewesen, mit der man nun online die optischen Zentrierparameter erheben könne. Die entsprechende Zulassung gemäß Medizinprodukteverordnung läge vor. Parallel habe die Fielmann Ventures eine Lösung geschaffen, die die Refraktion mit dem Smartphone im heimischen Wohnzimmer ermögliche.
„In der augenoptischen Branche in Deutschland wird viel gemeinsam geredet, aber wenig gemeinsam entwickelt“, resümierte Fielmann, der sich mehr Zusammenarbeit wünscht, um Online-Entwicklungen in der Messtechnologie das Siegel „made in Germany“ verleihen zu können. „Wir sind offen für Kooperation. Wir sind offen für gemeinsame Forschungsprojekte. Unsere Messtechnologien werden der ganzen Branche zur Verfügung stehen.“
Refraktionsbestimmung am Smartphone
Diesen Aspekt griff Dr. Franziska Schroeter, Head of Technology bei Fielmann Ventures, auf, die den Zuhörern eindrucksvolle Einblicke in die Entwicklungsarbeit des automatisierten Refraktionssystems verschaffte. Die subjektive Refraktionsbestimmung per App – wo sind die Herausforderungen? Das Problem beginne bereits in der Definition der subjektiven Refraktionsbestimmung, holte Schroeter die Zuhörer bei den ersten konzeptionellen Schritten ab, die ein solches Entwicklungsprojekt mit sich bringe.
Es werde mehr gemessen als nur der Visus. Der Visus sei genaugenommen nur eine Hilfsgröße auf dem Weg zur Bestimmung einer Brechkraftkorrektur. Der kritischste Punkt sei die Anforderung, dass die Korrektion zur Wahrnehmung eines scharfen Bildes führen soll. Da fließen Hirnleistung und subjektive Ansprüche ein, die objektiv nicht erfasst werden können.
Fielmann nutze in seiner App das Prinzip der Photorefraktion, eine bekannte Methode zur objektiven Refraktionsbestimmung. Bei einem emmetropen Auge erscheine die Pupille gleichmäßig dunkel ausgeleuchtet. Ein ametropes Auge weise einen halbmondförmigen Lichtreflex auf. Aus der Größe und Lage des halbmondförmigen Reflexes lasse sich die Refraktion mit Hilfe mathematischer Formeln berechnen.
Damit dies hinreichend genau gelingen könne, nutze die App neben reinen Formeln einen Deep-Learning-Algorithmus aus Fotos und Refraktionsdaten. Voraussetzung für den Lernprozess der Maschine seien möglichst viele gute Daten, erläuterte die Entwicklerin.
Akzeptanz der App bei den Kunden
Erste Tests zeigen, dass die App vergleichbare Refraktionsergebnisse liefere, wie die Messung durch einen Augenoptiker. Um zu erfahren, ob Kunden die App nutzen würden, habe Fielmann nicht nur zahlreiche Testreihen durchgeführt, sondern auch User-Research betrieben. Letzterer zeigte, dass es durchaus Skepsis gebe, bei den meisten Kunden allerdings die Neugierde überwiege.
Im finalen Prozess gehe es nun darum, den neugierigen Kunden den Zugang möglichst leicht zu machen. Das sei aus Schroeters Sicht nur möglich, wenn kein zusätzliches Equipment, wie Okulare oder Spezialkameras, benötigt werden. Außerdem müsse die Durchführung einfach sein und wenig Fehlerpotenzial bergen.
Aus diesem Grund plane Fielmann, den Zugriff auf die App vorerst zu begrenzen und diese ausschließlich myopen, nicht presbyopen Kunden zur Verfügung zu stellen. Stelle die App Auffälligkeiten fest, übermittle die App die Daten an den stationären Augenoptiker, setze also von Anfang an auf einen Omnichannel-Messprozess. Ob der Online-Brillenkauf sich erfolgreich entwickeln werde, darüber entscheide schlussendlich die Messgenauigkeit der Online-Verfahren. Hier sei die Entwicklung noch auf dem Weg.
Gesundheitsscreening mit KI
Die Gesundheitsbranche hat in den letzten Jahren einen Boom in der Bildgebung erlebt. In der Ophthalmologie sind hier vor allen anderen die optische Kohärenztomographie, OCT, und die Fundusfotografie, zu nennen. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz können Bilddaten schneller ausgewertet werden. Dass Augenoptiker und Augenärzte durch diese Technologien arbeitslos werden, sieht Priv.-Doz. Dr. med. Sebastian M. Waldstein, Vorstand der Abteilung für Augenheilkunde am Landesklinikum Mistelbach-Gänserndorf in Österreich, nicht.
In der Netzhaut seien Informationen zu Geschlecht und Alter einer Person ablesbar, darüber hinaus lassen sich Hinweise auf Augen- und Allgemeinerkrankungen finden. Dazu gehören beispielweise Risiken auf Herz-Kreislauf- oder Nieren- und Lebererkrankungen. Wer Bilddaten erhebe, müsse diese auch auswerten. Dies sei ob der Fülle an Informationen, die sich ableiten lassen, nicht immer einfach. An dieser Stelle können Deep-Learning-Systeme unterstützen.
Künstliche Intelligenz lasse sich in unterschiedlichen Bereichen sinnvoll einsetzen, zeigte Waldstein auf. Ein Screening auf Augenerkrankungen könnte im niederschwelligen Bereich, beispielsweise beim Augenoptiker, in Apotheken oder im Supermarkt angeboten werden. Wegen der Korrelation von Netzhautveränderungen und systemischen Erkrankungen sei sicher auch der Einsatz in allgemeinärztlichen und internistischen Praxen sinnvoll.
Maschinen würden die Bilder auf Basis validierter Daten vollautomatisch auswerten und weitere Handlungsempfehlungen ausgeben. Auf diese Weise stünden die Termine beim Augenarzt den Menschen zur Verfügung, die diesen brauchen. In der ophthalmologischen Praxis könnten Deep-Learning-Systeme die Therapieplanung und -steuerung unterstützen. Die Segmentierung von OCT-Bildern beispielsweise erlaube die Quantifizierung verschiedener Marker, wie die Flüssigkeitsmenge innerhalb der Netzhaut. Mit dieser Information könnten Anti-VEGF-Injektionen zielgerichtet geplant werden.
Zudem könnten Algorithmen für Vorhersagen zum Erkrankungsverlauf verwendet werden: Wie viele Anti-VEGF-Injektionen werden nötig sein oder wie schnell und wohin schreitet eine geografische Atrophie fort. Insbesondere in diesem Bereich sieht Waldstein noch deutliches Entwicklungspotenzial.
Zukunft von Augenoptik und Ophthalmologie
Gesundheitsscreening im Supermarkt, dieser Idee steht Prof. Dr. med. Norbert Schrage, Chefarzt der Augenklinik Köln-Merheim, kritisch gegenüber. Obwohl künstliche Intelligenz Augenuntersuchungen unabhängig vom Standort ermöglichen, gehören Gesundheitsscreening und fachkompetente Beratung für ihn untrennbar zusammen.
Ob diese Beratung zwingend immer durch einen Augenarzt erfolgen muss oder ob Teilbereiche auf Augenoptiker übertragen werden können, dazu hat der Ophthalmologe eine klare Meinung. Aus Schrages Sicht gab es bis vor einigen Jahren eine strikte sektorale Trennung zwischen den Tätigkeiten eines Augenarztes und denen eines Augenoptikers. Die fachliche Kompetenz des Augenoptikers umfasste die Fertigung von Brillen, die Anpassung vergrößernder Sehhilfen sowie die Durchführung von Sehtests. Der Kundenwunsch und der Wellnessaspekt hatten dabei oberste Priorität. Der Augenarzt hingegen war konfrontiert mit Krankheit, Therapie und Heilung und oftmals auch mit der Übermittlung unangenehmer Nachrichten, häufig in steriler Praxisumgebung.
Die Anforderungen der Patienten sowie die technologischen Fortschritte haben in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die beiden Berufsgruppen in einigen Geschäftszielen näher aneinander gerückt seien. Dazu zähle insbesondere die Sehkraftoptimierung beispielsweise durch refraktiv-chirurgische Eingriffe oder Kontaktlinsenanpassungen. In der Arbeitsebene finde oftmals bereits eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Berufsgruppen statt, berufspolitisch habe dieses Thema weiterhin Brisanz.
Zukünftig, so Schrages Meinung, sei die Zusammenarbeit immer bedeutsamer. Spätestens wenn die Baby-Boomer in den Ruhestand eintreten, könne die „Bagatell-Versorgung“ durch Augenärzte nicht mehr flächendeckend erfolgen. Bei den jungen Kollegen beobachte er zudem ein großes Interesse an der chirurgischen Tätigkeit. Zu all dem komme der Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance.
Augenoptiker und Augenärzte hätten jetzt die Chance, die neuen Technologien der künstlichen Intelligenz in ihren gemeinsamen Dienst zu stellen und ihre Kompetenzen sinnvoll zu vernetzen – bevor der Supermarkt diese Idee aufgreife und der Kunde sich dort Gesundheitsvorsorge hole.
Auch Nummer 51 wieder online
Die Zukunft der Augenoptik mit ihren technischen Errungenschaften und zu erwartenden Entwicklungen, präsentiert im Medium der Zukunft – wie hätte die Jubiläumsfeier besser stattfinden können, als online? Das 51. Kolloquium der Fielmann Akademie wird diesem Format treu bleiben.