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Zum aktuellen wissenschaftlichen Stand

Fielmann-Kolloquium mit Update zum Glaukom

Mitte Juni fand das 62. Fielmann Akademie Kolloquium statt, diesmal zum Thema „Update Glaukom“ statt. Obwohl das Glaukom bereits seit der Antike bekannt ist, bleibt die Erkrankung bis heute nicht vollständig entschlüsselt.

Fielmann-Kolloquium Glaucom Tamm Mardin Erb
Referierten auf dem Fielmann-Kolloquium zum Thema Glaucom (von links): Prof. Dr. Ernst Tamm, Prof. Dr. Christian Mardin und Prof. Dr. Carl Erb (Bilder-Quelle: Fielmann Akademie)

Gemeinsam mit Experten der Grundlagen- und Glaukom-Forschung diskutierte Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jürgen Grein, Leiter Wissenschaft der Fielmann Akademie Schloss Plön, vor rund 180 Zuhörern den aktuellen wissenschaftlichen Stand.

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Glaukom ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die unbehandelt zu charakteristischen Schäden am Sehnerv und damit verbundenen Gesichtsfeld-Ausfällen führen. Glaukome zählten zu den häufigsten Ursachen für Sehbehinderungen bei Erwachsenen. Die Erkrankung beginne in der Regel schleichend, verläuft langsam und für Patienten oftmals lange unbemerkt.

Um schwerwiegende Schäden zu verhindern, sind Früherkennung und eine angepasste Therapie wichtig. Ein umfassendes Verständnis der Pathophysiologie der Glaukome sei hierfür erforderlich. Prof. Dr. med. Ernst R. Tamm, Leiter des Lehrstuhls für Humananatomie und Embryologie der Universität Regensburg, nahm die Zuhörer mit auf einen Weg in die tiefen Strukturen des Kammerwinkels und beleuchtete die relevanten Mechanismen.

Entstehung des Augeninnendruckes

Es sei allgemein akzeptiert, dass ein zu hoher Augeninnendruck schädlich für den Sehnerv sei. Ein zu hoher Augeninnendruck könne auch vorliegen, wenn die Messwerte sich im Normalbereich befinden. Der Augeninnendruck werde durch Produktion, Zirkulation und Drainage des Kammerwassers bestimmt. Das Kammerwasser werde im zweilagigen Epithel der Ziliarkörper-Fortsätze gebildet und von dort in die hintere Augenkammer gepumpt. Es fließe durch die Pupille in die Vorderkammer und gelange von dort in den Kammerwinkel.

Der Abfluss des Kammerwassers erfolge über zwei Wege, den sogenannten konventionellen Weg über das Trabekelmaschenwerk und den Schlemm-Kanal und den uveoskleralen Abflussweg in die Zwischen-Zellsubstanz des Ziliarmuskels. Für die Pathophysiologie des Glaukoms sei vor allem der konventionelle Weg von Bedeutung, da durch diesen ein Abflusswiderstand generiert werde, der die Basis des Augeninnendrucks darstelle. Um dies genauer zu verstehen, benötige es einen tieferen Blick in die Strukturen des Kammerwinkels.

Kammerwasserfluss im Kammerwinkel

Das Trabekelmaschenwerk werde in einen inneren und einen äußeren Bereich unterteilt. Der äußere Bereich erstrecke sich zwischen dem Endothel des Trabekelwerkes und dem Endothel des Schlemm-Kanals und werde auch als Innenwandregion bezeichnet. Zellen innerhalb der Innenwandregion stehen sowohl mit dem Endothel des Trabekelmaschenwerks in Kontakt als auch mit den Zellen des Schlemm-Kanals.

Fielmann-Kolloquium Glaucom Prof Dr Ernst Tamm
Prof. Dr. Ernst Tamm (Bild-Quelle: Fielmann Akademie)

Druck des Kammerwassers auf die Strukturen der Innenwandregion führe zu einer Relaxation der Zellen. Dadurch bilden sich kleine Kanäle, die den Strom des Kammerwassers lenken. Gleichzeitig hebe sich das Endothel des Schlemm-Kanals ab und bilde auf diese Weise Poren, durch die das Kammerwasser einströmen könne. Das Kammerwasser müsse den Weg durch die Poren finden, um abfließen zu können.

Je mehr Abflusswege innerhalb des Trabekelmaschenwerks bestehen, desto geringer sei der Abfluss-Wiederstand und desto besser könne das Kammerwasser abfließen. Der Tonus der Zellen innerhalb des Innenwandbereiches beeinflusse somit den Abflusswiderstand des Kammerwassers: eine Kontraktion der Zellen gehe mit einer Einschränkung der Abflusswege einher, während eine Entspannung der Zellen die Abflusswege öffne.

Regulation des Kammerwasser-Abflusses

Die Regulation der Relaxation und Kontraktion der Zellen erfolge über verschiedene Signalmoleküle, die die Zellen des Trabekelmaschenwerkes bei Stress ausschütten. Ein schnell wirksames Signalmolekül sei Stickoxid, ein hochwirksames Muskelrelaxans. Dessen Ausschüttung bewirke die Öffnung der Abflusswege und lasse den Abflusswiderstand sinken.

Es gebe jedoch weitere Signalmoleküle, erläuterte Tamm und nannte den „Connective Tissue Growth Factor“ (CTGF), der ebenfalls bei Zellstress freigesetzt werde. CTGF sei ein Glykoprotein, das Adhäsion, Migration und Proliferation von Zellen stimuliere und als Wachstumsfaktor wichtig für die Entwicklung bestimmter Gewebe sei. Im Trabekelmaschenwerk wirke sich die Ausschüttung von CTGF langfristig in einer Verdickung der intra-trabekulären Strukturen aus, was zu einer Versteifung der Innenwandregion und einer Erhöhung des Augeninnendrucks führe.

„Beim primären Offenwinkelglaukom (POWG) ist der Tonus der Zellen des Innenwandbereiches erhöht“, was zu einer vermehrten Ausschüttung von CTGF führe und langfristig in einer Verdickung der Zellstrukturen und erhöhten Steifheit des Trabekelmaschenwerks resultiere, erläuterte Tamm.

Risikofaktor Augeninnendruck

Der Hauptrisikofaktor für die Entstehung eines Glaukoms sei ein relativ zu hoher Augeninnendruck, der einen typischen Schaden an der Papille, den inneren Netzhautschichten und in der Funktion des Auges anrichte. Schäden durch ein Glaukom sollten möglichst frühzeitig erkannt werden. Dies sei nicht nur für den Erhalt des Sehens und der Lebensqualität der betroffenen Patienten wichtig, sondern habe auch eine erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung.

Je später die Erkrankung erkannt werde, desto teurer sei die Behandlung, erläuterte Prof. Dr. med. Christian Mardin, leitender Oberarzt an der Universitäts-Augenklinik Erlangen. Die schädigende Erhöhung des Augeninnendrucks sei subjektiv in der Regel nicht bemerkbar. Um eine Früherkennung der Erkrankung sicherzustellen, sollte jeder Mensch ab dem 40. Lebensjahr alle zwei Jahre eine augenärztliche Untersuchung auf Glaukom durchführen lassen, ab dem 60. Lebensjahr werde empfohlen, das Kontrollintervall auf jährlich zu erhöhen. Die Diagnostik des Glaukoms stütze sich auf drei Säulen: die Messung des Augeninnendrucks, die Perimetrie und der Gestalts-Vermessung der Papille.

Augeninnendruck-Messung

Auch wenn der erhöhte Augeninnendruck den Hauptrisikofaktor für die Entwicklung eines Glaukoms darstelle, reiche die alleinige Messung des Drucks nicht aus, um ein Glaukom zu diagnostizieren. Die Mehrheit der Patienten, je nach Studie zwischen 67 Prozent und 82 Prozent, haben zum Zeitpunkt der Erstdiagnose Drücke unter 22 mmHg.

Der Goldstandard zur Messung des Augeninnendrucks sei die applanative Kontakt-Tonometrie nach Goldmann. Ein neueres System kombiniere die Messung des Augeninnendrucks mittels Luftimpuls mit der Videoaufzeichnung der cornealen Deformation während der Messung. Mit diesem Verfahren können zusätzliche Informationen über die Biomechanik der Cornea gewonnen werden.

Patienten mit einem Normaldruck-Glaukom haben verglichen mit Gesunden eine höhere Hornhaut-Steifigkeit. Auch lasse sich aus der cornealen Steifigkeit ein Rückschluss auf die Progression der Erkrankung ableiten.

Perimetrie

Zur Ermittlung des funktionellen Schadens werde die automatische statische Weiß-Weiß-Perimetrie eingesetzt. Es sei bekannt, dass bereits 30 Prozent der retinalen Nervenfaserschicht verloren gegangen seien, bis die Weiß-Weiß-Perimetrie anschlage. Modifikationen, wie die Durchführung einer Blau-Gelb-Perimetrie oder einer Flimmerperimetrie seien Möglichkeiten, den Schaden etwas früher zu erkennen.

Fielmann-Kolloquium Glaucom Prof Dr Christian Mardin
Prof. Dr. Christian Mardin (Bild-Quelle: Fielmann Akademie)

Ihren Vorteil habe die Perimetrie in der Darstellung der funktionellen Progression. Als subjektive und zeitaufwändige Untersuchung, die von den Patienten nicht besonders geliebt werde, sollte sie mit Bedacht eingesetzt werden, um verwertbare Ergebnisse zu erhalten. Patienten mit einem niedrigen Progressionsrisiko sollten einmal jährlich, jene mit hohem Progressionsrisiko halbjährlich eine perimetrische Untersuchung durchführen.

Covid habe gezeigt, dass Menschen nicht mehr regelmäßig zu Vorsorge-Untersuchungen gehen, wenn eine Pandemie herrsche. Dies habe eine Arbeitsgruppe dazu ermutigt, die Perimetrie so zu verkleinern, dass sie mit einer VR-Brille auch zu Hause durchgeführt werden könne. Die Ergebnisse werden telemedizinisch ausgewertet. Die Methode erscheine eine gute Idee, wenngleich es derzeit noch einige technische Herausforderungen gebe, so Mardin.

Morphometrie

Die ophthalmoskopische Beurteilung der Papille sei der augenärztliche Standard zur Einschätzung der typischen morphologischen Veränderungen des Sehnervenkopfes. Die Stadien-Einteilung nach Jonas, die üblicherweise zur Bewertung des Schadens verwendet werde, korreliere mit allen Hightech-Messungen und stelle eine günstige und gute Möglichkeit dar, das Schädigungsstadium einer Papille einzuschätzen.

Es sei jedoch ein erheblicher Nachteil der Methode, dass es sich um eine subjektive Einschätzung ohne die Erhebung von Messwerten handele. Außerdem könne nur die Oberfläche, nicht jedoch die tiefen Strukturen beurteilt werden. Dazu eigne sich die optische Kohärenz-Tomographie (OCT), die Messungen der retinalen Nervenfaserschichtdicke, der minimalen Randsaumbreite und der Dicke der retinalen Ganglienzellschicht ermögliche. Diese können kartographisch dargestellt und mit den Messwerten einer Normalpopulation verglichen werden.

Letzteres sei vor allem dann interessant, wenn Patienten zentrale Defekte in der Perimetrie aufweisen. Mit der OCT lassen sich vor allem Befunde darstellen, die perimetrisch noch keine Auffälligkeiten zeigten. Bis zu einem Verlust der retinalen Nervenfasern bis 50 µm gehen die Befunde aus OCT und Perimetrie Hand in Hand, in fortgeschrittenen Stadien zeige sich trotz funktioneller Progression keine weitere Verdünnung des Randraums, der sogenannte Bodeneffekt.

In diesem Fall seien andere Verfahren, wie Photographie oder HRT im Vorteil. Eine noch sehr neue Technologie stelle die OCT-Angiographie (OCT-A) dar, ein Verfahren, das Aufschluss über die Mikozirkulation in den Gefäßen gebe, ohne dass die Injektion eines Farbstoffs erforderlich sei. Veränderungen in der Mirkozirkulation seien schon früher auffällig als sonstige morphologische Veränderungen, auch stelle sich der Bodeneffekt erst später ein. Die Methode sei derzeit noch nicht standardisiert und daher noch nicht im klinischen Alltag integriert.

Künstliche Intelligenz in der Glaukom-Diagnostik

Erste Ansätze künstlicher Intelligenz habe es bereits in den 50er Jahren gegeben. Als Wahlverfahren werde in der Medizin heute das Deep-Learning eingesetzt. Studien konnten zeigen, dass KI hinsichtlich der Auswertung von Papillenphotos, OCT-Aufnahmen und Gesichtsfeld-Analysen nicht schlechter abschneiden als ein ausgebildeter Ophthalmologe.

Vor allem für die Auswertung der OCT-A-Befunde seien KI-Analysen interessant. Bislang werde nur die Gefäßdichte (Vessel Density) bewertet, in den Bildern stecke jedoch viel mehr Information, die das menschliche Gehirn nicht erfassen könne. Die KI werde in Zukunft nicht aus der ophthalmologischen Arbeit wegzudenken sein, auch wenn es derzeit noch einige Herausforderungen zu nehmen gelte.

„Am Ende ist es jedoch der Arzt, der die Diagnose stellt, deshalb müssen wir mit Schritt halten und begreifen, wie diese Expertensysteme funktionieren, weil wir sonst nicht beurteilen können, wenn so ein Gerät einen Fehler macht“, resümierte Mardin.

Neuroprotektion als Therapieziel

Die Gruppe der Glaukom-Erkrankungen sei sehr heterogen, was entsprechend auch auf die Therapie zutreffe, erklärte Prof. Dr. med. Carl Erb, Leiter der Augenklinik am Wittenbergplatz, Berlin. Bislang sei es das Haupt-Anliegen der Glaukom-Therapie gewesen, den Augeninnendruck zu senken. Die Evidenz für die Korrelation zwischen einer medikamentösen Senkung des Augeninnendrucks und einer Stabilisation des visuellen Vermögens fehle.

Fielmann-Kolloquium Glaucom Prof Dr Carl Erb
Prof. Dr. Carl Erb (Bild-Quelle: Fielmann Akademie)

Vielmehr bewirken viele Medikamente nur eine mäßige Progressions-Verminderung. Die Ursachen seien vielfältig und sicher teils auch in der schlechten Therapietreue zu suchen. Allerdings habe sich auch das Verständnis des POWG in den letzten Jahren gewandelt. Es sei verstanden, dass es sich bei dieser Erkrankung nicht um eine reine Augen-Erkrankung handele, sondern vielmehr um eine Neurodegeneration des Gehirns mit Sehnerven-Beteiligung, deren Ursache in einer genetischen Störung der Mitochondrien liege. Diese Störung führe zu einer erhöhten Calcium-Durchlässigkeit in der Mitochondrien-Membran und dadurch zu entzündlichen Prozessen und oxidativem Zellstress.

Das neue Ziel der Glaukom-Therapie sollte Neuroprotektion heißen. Dies bedeute für viele Patienten mit POWG eine Lebensstil-Änderung. Rauchen, Adipositas, Bewegungsmangel und schlechte Ernährung gehören zu den Risikofaktoren eines POWG.

Ganzheitliches therapeutisches Konzept zur Glaukom-Therapie

Auch Strategien mit Nahrungs-Ergänzungsmitteln seien denkbar. Unter Anwendung von Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D könne eine sehr effektive Verminderung von Entzündungs-Reaktionen bei Autoimmun-Erkrankungen ausgelöst werden. Dies sei insofern auch für die Therapie des POWG interessant, da bei viele Patienten eine Vitamin-D-Störung nachgewiesen werden könne.

Das Co-Enzym Q 10 sei am Elektronen-Transport der Mitochondrien beteiligt und könne als Antioxidans Zellen vor oxidativem Stress schützen. Eine Substitution könne eingesetzt werden, um mitochondriale Entzündungs-Prozesse zumindest etwa einzudämmen.

Ein weiterer therapeutischer Ansatz bestehe in der Neurostimulation. Diese Therapie beruhe auf der Erkenntnis, dass Zellen im Rahmen einer Druckschädigung zunächst nicht vollständig zerstört, sondern in ihrer Funktion eingeschränkt werden. Die Stimulation der Zellen mit Wechselstrom könne die Funktion der Zellen fördern und weiteren Verlust verhindern. In Studien konnte gezeigt werden, dass durch Neurostimulation eine perimetrische Progression stabilisiert werden konnte. Die Wirksamkeit dieser Therapie benötige jedoch weitere Studien.

Die Augeninnendruck-Senkung stelle nach wie vor einen wichtigen Teil der Therapie dar, „aber sie ist aus meiner Sicht auch nur ein Teil der Therapie“, so Erb. Es gehören zahlreiche weitere ganzheitliche Therapie-Optionen in das therapeutische Gesamtkonzept des POWG, um die Neurodegeneration besser kontrollieren zu können.

Im Kontext der Glaukom-Erkrankung können viele Komorbiditäten auftreten, so leiden etwa 50 Prozent der Patienten auch unter einer Hyperlipidämie, 70 Prozent haben eine Hypertonie und etwa 30 Prozent einen Diabetes mellitus. Eine gute Einstellung der Grunderkrankung helfe, die Folgen des POWG zu lindern. Statine, die zum Beispiel zur Therapie der Hyperlipidämie eingesetzt werden, zeigen außerdem deutliche anti-entzündliche Effekte und wirken gleichzeitig neuroprotektiv.

Bei der Einstellung des Blutdrucks bei Hypertonie-Patienten sollte im Sinne des Glaukoms vor allem darauf geachtet werden, dass niedrige diastolische Drücke unter 50 mmHg schlecht seien, da sie zu schädlich geringen Gefäßdurchblutungs-Drücken am Auge führen.

 

Quelle: Fielmann Akademie

 

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