Fielmann-Kolloquium: Perspektivwechsel und Kooperation
von Redaktion,
Augenoptiker und Augenärzte haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen bestmögliches Sehen für ihre Kunden und Patienten. Die Digitalisierung ist eine große Herausforderung, die für beide Berufsgruppen zu enormen Umbrüchen führen wird. Der Einladung zum interdisziplinären Austausch im Rahmen des 47. Fielmann Akademie Kolloquiums waren rund 100 Gäste gefolgt.
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Norbert Schrage, Direktor der Augenklinik Köln-Merheim, und Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jürgen Grein, Leiter Wissenschaft der Fielmann Akademie Schloss Plön, freuten sich, sechs Jahre nach dem ersten Dialog in Köln erneut gemeinsame Perspektiven zu beleuchten.
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Fielmann-Koloquium mit Perspektivwechsel
Aktuell erlebten sowohl Augenoptiker als auch Augenärzte eine Veränderung ihrer Tätigkeit. Die demographische Entwicklung in Deutschland führe dazu, dass sich der Fokus der ärztlichen Tätigkeit zunehmend hin zur Betreuung komplexer Krankheitsbilder verschiebe, erläuterte Schrage. Die technologischen Entwicklungen helfen, Befunde schneller zu kategorisieren – mehr noch, erste Studien haben bereits gezeigt, dass Computerprogramme einzelne Krankheitsbilder wie beispielsweise die Diabetische Retinopathie ebenso gut erkennen wie ein Augenarzt.
Der Augenoptiker sei konfrontiert mit Apps, die eine Eigenrefraktion im heimischen Wohnzimmer ermöglichen sollen. Die Kernkompetenzen von Ärzten und Optikern verlagerten sich so zunehmend in die breite Öffentlichkeit: Internet, Geräte, Apps. Die Menschen, die persönlich in die Praxen oder Geschäfte kommen, erwarten einen Mehrwert, den die Technologien nicht bieten können. Dieser Mehrwert könne nur Beratung bedeuten.
Kommunikation statt Konfrontation
Der technologische Fortschritt führe zu einer Verlagerung der augenoptischen Tätigkeit in Richtung Medizin, gleichzeitig bewege sich der ärztliche Schwerpunkt in Richtung Therapie und Beratung. „Wir sollten aufhören, an unseren alten Vorstellungen über die beiden Berufsbilder festzuhalten und uns mehr damit beschäftigen, wie wir Schnittstellen zur Befundübermittlung und Informationsaustausch realisieren können.“ Der technologische Fortschritt sei nicht aufzuhalten. „Wenn wir vor lauter Konkurrenzdenken das gemeinsame Ziel, bestmögliches Sehen für Kunden und Patienten zu ermöglichen, aus den Augen verlieren, übernehmen dies in der Zukunft vielleicht die Drogeriemärkte“, appellierte Schrage auf dem Fielmann-Koloquium.
Den Themen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz kann sich inzwischen niemand mehr entziehen. Die Bundesregierung hat bereits ein Maßnahmenpaket entwickelt, mit dem sie den digitalen Wandel gestalten und Deutschland bestmöglich auf die Zukunft vorbereiten will. Doch was genau bedeutet Künstliche Intelligenz? „Künstliche Intelligenz ist ein Überbegriff für alle Maschinen, die versuchen, menschliches Verhalten zu imitieren“, erläuterte Dr. med. Andreas Cordes, Leitender Arzt und Mitinhaber der Hochkreuz Augenklinik Bonn.
Netzhautscreening mit KI
In Großbritannien werden Bildanalyse-Systeme, die auf der Basis von machine-learning arbeiten, bereits seit einigen Jahren zur Klassifikation der Diabetischen Retinopathie eingesetzt. Die Software werde dazu mit einer großen Anzahl Fundusbilder gespeist. Entwickler markieren die relevanten pathologischen Veränderungen der Pathologie und klassifizieren diese. Die Software suche nun selbstständig nach diesen Bildinformationen. Die AREDS-Studie habe gezeigt, dass die Treffgenauigkeit für Diabetische Retinopathie mit einem solchen System bei etwa 80 Prozent liege. Dies reiche nicht für eine Diagnosestellung – für ein Screening mit dem Ziel, Patienten möglichst frühzeitig an einen Augenarzt zu vermitteln, sei das Ergebnis hinreichend, erläuterte Cordes.
Deep-Learning
Die Möglichkeiten des machine-learning seien begrenzt, da die Software vorgegebene Merkmale einer Erkrankung abgleiche. Die Weiterentwicklung, das deep-learning, nutze Fundusbilder, von denen die Diagnose bekannt sei. Die Merkmale der Pathologie erkenne die Software selbst. Das System werde mit Fundusbildern trainiert. Auf je mehr Bilder die Software zurückgreifen könne, desto sensitiver und spezifischer werde sie.
Bedingung für das Funktionieren der deep-learning Maschinen sei, dass die eingespeisten Daten die epidemiologische Streubreite als auch die Varianz der Pathologie abbilden. Für einzelne Krankheitsbilder können derart trainierte Algorithmen gleich gute Entscheidungen treffen wie ein Facharzt. Cordes sieht in der Künstlichen Intelligenz die Zukunft der Augenheilkunde. Wie auch Schrage betonte er, dass es besser sei, die Technologie anzunehmen und die eigene Rolle neu zu definieren, als sich ihr gegenüber zu verschließen.
Smartphone-Refraktion
„Die Angst vor Künstlicher Intelligenz tobt auch in der Augenoptik“, übernahm Olaf Schmidt-Kiy, Dipl.-Ing. (FH), Leiter der Meisterschule der Fielmann Akademie Schloss Plön. Wird der Augenoptikermeister bald überflüssig, weil die Refraktionsbestimmung durch das Smartphone im heimischen Wohnzimmer erfolgen kann? Apps dazu, so Schmidt-Kiy, gebe es bereits einige. Seien die Smartphones einmal für die Messung kalibriert und die Hardware modifiziert, erziele die Software außerdem ein gutes Ergebnis.
„In einer Stadt wie Köln sind die Kunden aber wahrscheinlich schneller bei ihrem Augenoptiker“, mutmaßte Schmidt-Kiy. In entlegenen Regionen der Welt könnten die Apps die Versorgung jedoch verbessern, denn Smartphones und Internet gebe es überall. Einige der Apps seien zudem mit einem Bestellprogramm verknüpft, so dass die Brillenversorgung sofort im Anschluss an die Messungen erfolgen könne. In seinem Fazit schloss sich Schmidt-Kiy seinen Vorrednern an: Den Kopf in den Sand stecken schütze nicht davor, dass die Dinge kommen.
Blaues Licht – Nutzen und Risiko
„LED-Lampen fördern Makula-Degeneration.“ „Die Gefahren von blauem Licht.“ Schlagzeilen wie diese finden sich aktuell häufig in der Boulevardpresse. Blaues Licht sei jedoch nicht nur schädlich, weiß Grein. Die Steuerung des Tag-/Nacht-Rhythmus sei an den Einfall blauen Lichtes im Wellenlängenbereich zwischen 440 nm bis 480 nm gekoppelt. Diese Wellenlängen unterdrücken die Produktion des Hormons Melatonin, was den Körper in einen Wach-Zustand versetze. „Wir brauchen blaues Licht für das Funktionieren unserer inneren Uhr.“
Gleichzeitig sammeln sich im Laufe des Lebens Stoffwechsel-Endprodukte in den Zellen des retinalen Pigmentepithels, dazu gehöre auch das sogenannte Alterspigment Lipsofuszin. Chemisch betrachtet sei Lipofuszin ein inhomogenes Stoffgemisch aus oxidativ veränderten Proteinen und Lipiden.
Bestandteile des Lipofuscin können durch kurzwelliges Licht im Wellenlängenbereich um 435 nm zur Fluoreszenz angeregt werden. Dabei werden freie Radikale freigesetzt. Freie Radikale seien beispielsweise Moleküle, denen auf ihrer äußersten Schale ein Elektron fehle. Um ihre Schalen voll zu besetzen, reagieren diese Moleküle mit Reaktionspartnern in Zellen oder Geweben. Dies wiederum könne zu Schäden in der Netzhaut führen.
Grein appellierte, an Blaulichtschutz zum Beispiel beim Sport im Freien oder nach einer Katarakt-Operation zu denken. Dabei seien Filtergläser mit höherer Absorption bis 440 nm und ausreichender Transmission im Bereich bis 480 nm sinnvoll. „Schauen Sie sich die Transmissionskurven Ihrer Brillengläser genauer an“, empfahl Grein.
Natürlicher Blaulichtschutz
Einen natürlichen Schutz vor blauem Licht im Alter biete die natürliche Augenlinse. Im Lauf des Lebens werde sie immer gelber. Dies habe keine Auswirkung auf den Visus und sei von einer Katarakt abzugrenzen, erläuterte Schrage. Die Gelbfärbung reduziere vielmehr den Lichteinfall in das Auge, jedoch nicht für alle Lichtwellenlängen gleichermaßen. Ein Blick auf die Transmissionskurve einer Augenlinse eines 60-Jährigen verdeutliche, dass die Absorption von blauem Licht überdurchschnittlich hoch sei, verglichen mit der Absorption im grünen und roten Wellenlängenbereich.
Neben der reinen Schutzfunktion führe die Reduktion von kurzwelliger Strahlung auch zu einer Streulichtminderung im Auge. Aus diesem Grund implantiere Schrage seit einigen Jahren ausschließlich Blaufilterlinsen. „Die Patienten fühlen sich mit gelben Intraokularlinsen weniger geblendet. Das ist unsere Erfahrung.“ Der protektive Effekt gegen die Entwicklung einer altersabhängigen Makuladegeneration sei wissenschaftlich jedoch nicht belegt.
Sehbeeinträchtigung durch Glaukom
Im Alter verändert sich das Sehen. So verursache die Gelbfärbung der Augenlinse eine Veränderung der Farbwahrnehmung, die Verdichtung der Linsenfasern führen zu einer Minderung der Sehschärfe und der Kontrastempfindlichkeit. Auch das Risiko für ernsthafte Erkrankungen nehme im Alter zu. Das Glaukom sei eine dieser Erkrankungen, erläuterte Dr. med. Martin Michael Much, Leitender Oberarzt der Augenklinik Köln-Merheim. Im Verlauf der Erkrankung führe das Glaukom zu Gesichtsfeldeinbußen, die, solange das Zentrum nicht betroffen sei, durch die Erkrankten unbemerkt blieben. In Zeitschriften finde Much die Gesichtsfeldausfälle häufig als schwarze Flecke dargestellt.
„Nur weil wir etwas nicht sehen, heißt das nicht, dass wir einen schwarzen Fleck sehen.“ Vielmehr fülle das Gehirn die fehlenden Bereiche sinnvoll auf. Als frühe, präperimetrische Symptome seien eine verlangsamte Lesegeschwindigkeit, geringere Kontrastempfindlichkeit, verminderte Reisetätigkeit und langsamere Orientierung im Supermarkt beschrieben. Die größte Patientengruppe sei über 80 Jahre alt und weise Begleiterkrankungen auf, weshalb die beschriebenen Symptome wenig Aussagekraft hätten.
Bis heute könne ein Glaukom nicht geheilt werden, die Progression können jedoch deutlich verlangsamt werden. Um Patienten möglichst lange bestmögliches Sehen zu erhalten, sei Früherkennung absolut wünschenswert.
Gleitsichtgläser gestern und heute
„Zurück bis in die Zukunft“ hieß es mit Dr. Sabine Latzel, Lens Design, Zeiss Vision Care, Aalen, die die Zuhörer auf dem Fielmann-Kooloquium mitnahm auf eine Zeitreise über die Entwicklung der Gleitsichtglasdesigns. Das erste Patent für ein Gleitsichtglas sei bereits im Jahre 1907 erteilt worden. Aufgrund der damals fehlenden Technologien habe dieses Glas nicht gefertigt werden können. Die kommerzielle Fertigung von Gleitsichtgläsern sei erst 1958 gelungen. Seither habe sich das Optikdesign deutlich weiterentwickelt.
Heute wie jeher gelte das Theorem von Minkwitz, dass ein Anstieg der dioptrischen Wirkung in der vertikalen Achse des Glases, einen horizontal wirksamen Flächenastigmatismus erzeuge. Aus diesem Grund gebe es kein ideales Gleitsichtglas. Moderne Berechnungen ermöglichen jedoch die Minimierung und Verschiebung der Abbildungsfehler aufgrund der individuellen Gläserposition, der Fassungsform sowie verschiedener Gebrauchssituationen.
Das 47. Kolloquium der Fielmann Akademie Schloss Plön endete mit einer angeregten Diskussion.
Das 48. Kolloquium der Fielmann Akademie findet in Plön statt am 22. Januar 2020 zum Thema Visualtraining.