Refraktion: Auffälligkeiten als Pathologie-Indikator
von Redaktion,
Am 18. August lud die Fielmann Akademie Schloss Plön zu ihrem 51. Kolloquium ein. Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jürgen Grein, Leiter Wissenschaft der Akademie, konnte zum Thema „Refraktion: Auffälligkeiten als Pathologie-Indikator“ 255 Teilnehmer im Web-Seminar begrüßen.
Die Refraktionsbestimmung ist eine der zentralen Tätigkeiten der Augenoptik. Die etablierten Techniken funktionieren gut und liefern zuverlässige Ergebnisse – und manche Überraschung. Trotz aller Routine stellen scheinbar widersprüchliche Kundenantworten oder unerwartete Resultate selbst geübte Refraktionisten vor Rätsel. „Wir möchten heute den Ursachen dieser überraschenden Refraktionsverläufe auf den Grund gehen“, stimmte Prof. Hans-Jürgen Grein die virtuellen Gäste auf den Fortbildungsabend ein.
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Auffälligkeiten bei der Refraktion
Auffälligkeiten bei der Refraktion seien vielfältig und äußerten sich in Form von Visus-Beeinträchtigungen, aber auch in unerwarteten bzw. häufigen Veränderungen von Sphäre, Zylinder oder Achse sowie in unklaren oder widersprüchlichen Kundenantworten, erklärte Grein. Aber nicht jede Schwankung der Fernpunktrefraktion sei ein Pathologie-Indikator. Schwankungen in der Refraktion von ±0,25 dpt bis ±0,75 dpt zeigten sich auch in gesunden Augen. Je geringer der Zylinder, desto unsicherer lasse sich die Achslage bestimmen.
Eine weitere Abhängigkeit der Refraktion ergebe sich aus dem Alter der Kunden. Im zweiten Lebensjahrzehnt beobachte man eine Myopisierung, die in der Umgangssprache gerne als Schulmyopie bezeichnet werde. In der Kundengruppe der 40- bis 60-Jährigen stelle sich häufig eine Hyperopisierung ein, die sich durch die Brechzahländerung der Augenlinse und durch die Manifestation latenter Hyperopien erklären lasse.
Refraktions-Besonderheiten bei Katarakt
Ab dem 60. Lebensjahr beobachte man bei vielen Kunden wieder eine Myopisierung. Da diese in einer Verbesserung der Lesefähigkeit resultiere, sei sie den Kunden oftmals willkommen. Als Ursache sollte immer an die Entwicklung einer Kernkatarakt gedacht werden.
Kernkatarakte betreffen etwa 30 Prozent der Alterskatarakte in Deutschland. Die häufigste Form der Katarakt in Deutschland zeigt sich durch eine Eintrübung der Linsenrinde. Ihr Anteil mache etwa die Hälfte der Alterskatarakte aus. Betroffene berichten über Sehverschlechterungen in Ferne und Nähe sowie eine erhöhte Blendempfindlichkeit bei nächtlichen Autofahrten.
Die Trübungen zeichneten in der Spaltlampe ein charakteristisches Bild von speichenförmig angeordneten Wasserspalten. Diese können wie stenopäische Lücken zwischen den Trübungen wirken, was gelegentlich zu zeitweiligen Sehverbesserungen führe.
Die dritte und seltenste Form der Alterskatarakte stellen die hinteren Schalentrübungen. Die Trübungen beginnen im Zentrum der Augenlinse, weshalb Kunden zunächst über Probleme beim Lesen berichten, die sich auch mit adäquatem Nahzusatz nicht verbessern lassen.
Refraktions-Anomalien bei erhöhtem Blutzuckerspiegel
Diabetes mellitus ist eine Stoffwechselerkrankung, die auf Insulinresistenz oder Insulinmangel beruht und durch einen erhöhten Blutzuckerspiegel gekennzeichnet ist. Die Zahl der Diabetiker wird in Deutschland auf ca. 8 Millionen geschätzt. Diabetes führe zu einem Umbau der Gefäßwände und schädige diese. Davon betroffen seien auch die Netzhautgefäße, erklärte Grein. Die Schädigung der Netzhaut bleibe lange Zeit ohne Auswirkung auf den Visus und die Fernpunkt-Refraktion.
Allerdings seien der Zuckergehalt von Blut und Kammerwasser sehr ähnlich, was dazu führe, dass bei einem erhöhten Blutzuckerspiegel vermehrt Glukose in die Augenlinse gelange. Dem osmotischen Gefälle folgend, ziehe dies einen Wassereinstrom in die Linse nach sich und erhöhe so deren Brechwert. Niedrige Blutzuckerkonzentrationen hingegen führen zu einer Brechwertabnahme. Diese Vorgänge brauchen Zeit und es lassen sich damit langfristige Veränderungen der Refraktion erklären. In der Literatur werden Refraktionsverschiebungen um bis zu fünf Dioptrien beschrieben.
Nicht erklärt sind jedoch die kurzfristigen tageszeitlichen Schwankungen der Refraktion, die auch mehrere Dioptrien betragen können. Studien der TH Lübeck gemeinsam mit der diabetologischen Abteilung des UKSH Lübeck untersuchten die kurzfristigen Zusammenhänge zwischen Blutzucker und Refraktion an Gesunden und Diabetikern. Es konnten zwar relevante Schwankungen bei der Refraktion im Rahmen von Blutzuckeränderungen gefunden werden, die Richtung der Änderung zeigte jedoch keinen Zusammenhang mit der Blutzuckerlage.
Medikamente und Refraktion
Dr. rer. nat. Andreas Berke, Direktor der Höheren Fachschule für Augenoptik in Köln, erläuterte in seinem Vortrag die Einflüsse von Medikamenten auf die Refraktion. Die Fernpunkt-Refraktion sei das Ergebnis des Zusammenwirkens der verschiedenen optischen Komponenten des Auges. Zu diesen werden die Hornhaut und Linse als abbildende Komponenten und die Tiefen von Vorderkammer und Glaskörper gezählt. Insbesondere die Brechwerte von Hornhaut und Linse können unter dem Einfluss von Medikamenten schwanken.
Wichtige Auslöser von Schwankungen der Refraktion können osmotische Effekte, Ziliarkörperödeme als Folge von Entzündungs- oder Überempfindlichkeitsreaktionen, neuronale Mechanismen oder Längenänderungen des Auges aufgrund von Makulaödemen sein. Substanzen, die den Natrium oder Kaliumhaushalt beeinflussen, können die Quellung der Hornhaut oder der Augenlinse beeinflussen. Als Beispiele nannte Berke die Antibabypille oder entwässernde Medikamente.
Wassereinlagerungen in der Makula, die gelegentlich als Nebenwirkung bei modernen Glaukom-Medikamenten berichtet werden, erzeugten eine Hyperopisierung. Eine Reihe von Medikamenten wie Cortison oder Schilddrüsenhormone beeinflussten den Glukosestoffwechsel mit der Folge von Refraktionsschwankungen.
Schließlich ging Berke auch noch auf Medikamente ein, die Einfluss auf das autonome Nervensystem nehmen und damit die Akkommodation beeinflussen. Als Beispiele nannte er Medikamente gegen Allergien, Psychopharmaka, aber auch Hustenmittel oder Medikamente gegen Reisekrankheit.
Keratokonus
Neben Medikamenten können auch Erkrankungen die Hornhautradien und dadurch deren Brechkraft verändern. Eine davon ist der Keratokonus. Rabinowitz definierte den Keratokonus als eine meist bilaterale, nicht entzündliche Hornhaut-Erkrankung, die mit einer Verdünnung der Cornea einhergeht. Die Krankheit verlaufe schubweise progressiv und führe zur Bildung einer irregulären, kegelförmigen Hornhaut-Deformation.
Betroffen seien immer junge Menschen zwischen dem zehnten und 35. Lebensjahr, erklärte Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Steinberg, zentrumsehstärke, Hamburg, der seine Habilitationsschrift zum Thema Keratokonus verfasst hat. Steinberg bekräftigte, dass aus dem Verlauf einer Refraktionsbestimmung sowie aus den Resultaten die Verdachtsdiagnose eines Keratokonus geschlossen werden könne. Die Refraktionsbestimmung gestalte sich in diesem Fall typischerweise mühsam, insbesondere der Zylinderstärken- und Achsabgleich mit dem Kreuzzylinder.
Wichtige Hinweise auf einen Keratokonus liefern außerdem ein hoher, seitendifferenter Astigmatismus in schiefen Achslagen und ein leicht reduzierter, bestkorrigierter Visus sowie eine deutliche Differenz zwischen dem Ergebnis des Autorefraktometers und der subjektiven Refraktion.
Entscheidend für den Therapieerfolg sei eine frühe Diagnose, Kunden mit entsprechendem Verdacht sollten daher schnell augenärztlich abgeklärt werden. Für die Einleitung der Therapie könne der Topographieverlauf bedeutend sein. Steinberg empfahl, bei Kunden mit Verdacht auf einen Keratokonus immer eine Topographie zu machen.