Glückliche Pariser! Während sich in weiten Teilen Deutschlands der Sommer schon verabschiedet hat, schenkte die Hauptstadt mit dem Eiffelturm Ende September noch so viel Wärme, dass die Besucher der Silmo auch ohne Mantel draußen sitzen konnten. 27.000 waren gekommen, 750 Aussteller warteten auf sie. Auch wenn damit das Vor-Corona-Niveau von 970 Ausstellern noch nicht erreicht war, erlebten die Besucher mit Wohlgefühl: Die wichtige europäische Branchen-Präsenzmesse – Motto diesmal: „Visionäre willkommen heißen!“ – ist zur Normalität zurückgekehrt.
Mit den Masken, so scheint es, ist auch die Verzagtheit von den Gesichtern gefallen. Trotz schwieriger Zeiten und düsterer Wirtschafts-Prognosen war die Stimmung in den zwei großen Messehallen auf der Paris-Nord Villepinte Parc d’Expositions heiter bis euphorisch. Augenoptiker*innen, Aussteller, Brillenfreunde zeigten sich teils regelrecht begeistert. Labels wie Andy Wolf, Jacques Marie Mage waren mit ihren Ständen zurückgekehrt, andere wie IC! Berlin und Etnia zögern wohl noch.
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3D-Druck etabliert sich
Wenn es zwei Themen gab, an die kein Besucher vorbeikam, waren es der 3D-Druck und Nachhaltigkeit – die Überschneidung zwischen beiden liegt zudem auf der Hand. Immer mehr Hersteller entdecken das 3D-Druckverfahren für sich. Die dabei kreierten Modelle, bei deren Herstellung in der Regel feines Polyamid-Pulver schichtweise aufgetragen wird, werden raffinierter, auch immer raffinierter kombiniert mit anderen Materialien und überraschenden Scharnier-Lösungen. Neben Pionieren wie You Mawo, Hoet und den später dazugestoßenen Liebhaber-Brands Klenze & Baum und Neubau Eyewear bedienen sich nun auch vermehrt sehr junge Labels der Technik wie Odette Lunettes oder Branchen-Quereinsteiger und eyebuzz-GewinnerWallenfels Eyewear.
Wie schnell Trends auf dem Brillenmarkt zu Basics werden, sah man diesmal daran, wie sich geometrische Formen mit Ecken und Kanten, vor allem Hexagone und Oktagone, mittlerweile durchgesetzt haben. Kaum eine Kollektion großer Anbieter kommt hier ohne Angebote aus, sei es als wuchtig-robuste oder zierlich-zurückhaltende Variante. Anything goes, möchte man ein weiteres Mal sagen, doch gar nicht mehr hören und versucht sich selbst als Trendscout.
Es grünt so grün
Im Gespräch mit der engagierten Annika Sommer, bei Lunor für PR & Social Media zuständig, konnte (mit aller Vorsicht) Grün als eine der aktuellen Fassungs-Trendfarben ausgemacht werden. Das passt ja zur Nachhaltigkeit! Sommer berichtete, wie bei Lunor Video-Clips und Bewegtbilder nicht nur im Social-Media-Bereich immer wichtiger werden. Trendwende oder nicht? Auch beim Brillen-Marketing bewegt sich was.
Jördis Neubauer und Francisco Marin vom spanischen Fassungshersteller Jisco favorisieren eher Blau. DNA und Kollektionen stehen ganz im Zeichen eines mediterranen Lebensgefühls. „Blau ist die Farbe der Guten“, scherzte Francisco, in Anspielung auf die „Star Wars“-Saga.
Dem temperamentvollen Mallorquiner könnte man ewig zuhören, wenn er begeistert und bildhaft über die aktuellen Modelle, den Markt und die Kunst guten Designs spricht. Bei jeder neuen Fassung tobe „der Kampf zwischen Technik und Fashion“ und wolle befriedet werden, sagte er sinngemäß.
„Nahezu überwältigend“, fand Michael Menig, Geschäftsführer von We are annu, die diesjährige Silmo: „Die Hallen waren fast voll. Zu uns kamen Augenoptiker aus Südkorea, Taiwan, Australien. Die Mido, wo wir einen Stand auf der Newcomer Area hatten, war viel schwächer besucht.“
Menig, der in Nürnberg ein eigenes Augenoptikgeschäft hat, ist wachsam: „Wir haben immer noch genauso viele Kunden wie im Jahr zuvor. Doch die Gasrechnung kommt erst am Ende des Jahres.“
Schlüsselwort „preiswürdig“
Ralf Kmoch, Geschäftsführer der in Heubach ansässigen Visibilia und seit letztem Jahr im Management-Team des Unternehmens J.F. Rey, bleibt trotz getrübter Wirtschaftsaussichten optimistisch.
Für Visibilia sieht er gute Perspektiven: „Im mittleren Preissegment geht es ums Produkt, um Inhalte, Fairness und Service. Die Menschen wollen heute preiswürdig einkaufen, das meint nicht billig, sondern mit einem guten Kundenservice. Das Thema „Geiz ist geil“ ist lange durch.“
Wolfgang Reckzeh vom Familien-Unternehmen Colibri’s und fest verwurzelt in der Hansestadt Lübeck (Kollektions-DNA „Great glasses for small faces“) trifft man enthusiastisch und gutgelaunt zwischen den Gängen. „Die Messe ist sehr gut besucht, wir haben gute Aufträge“, erzählt er.
Bei Themen wie Inflation, Gaspreise und drohende Rezession wiegelt er ab. „Wir leben hierzulande immer irgendwie im Krisenmodus, ich weiß nicht, ob das nur in so Deutschland ist. Wir haben uns auf unsere Kunden besonnen.“
Lagerbestände aufgestockt
Markus T freute sich über einen besseren Standplatz als im letzten Jahr und die wieder gewonnene Normalität im Messebetrieb. Als Unternehmen mit eigener Manufaktur, das lokal produziert, sei man trotz Krise gut aufgestellt, sagt er. „Wir beziehen nur ein Material von Übersee, das Titan. Hier haben wir den Lagerbestand deutlich aufgestockt. Das kostet viel, aber nicht produzieren zu können, kostet noch mehr Geld.“ Im nächsten Jahr feiert Markus T 25-jähriges Jubiläum. Da wird es, wie zu erfahren ist, einige Überraschungen geben, z.B. ganz besondere Editionsbrillen.
Giovanni Vitaloni, Präsident der Mido und regelmäßiger Aussteller der Silmo mit seiner Marke Vanni Eyewear, zeigte sich ebenfalls erfreut über die vielen Besucher und gibt ein leidenschaftliches Plädoyer für die Zukunft von (Brillen)Messen. Er hält sie immer noch für „die beste und leichteste Möglichkeit, Produkte vor internationalem Publikum zu präsentieren.“ Natürlich spricht er auch pro domo, denn vom 4. bis 6. Februar 2023 findet die nächste Mido in Mailand statt. Der Präsident ist sichtlich froh, dass die opti 2023 auf den 13. bis 15. Januar vorverlegt wurde, sodass etwas mehr Abstand zwischen beiden Branchenmessen ist.
Sehnsucht nach Spektakel
Glamour und ein bisschen Selbstfeier der augenoptischen Industrie durften auch sein. Die Verleihung der insgesamt zwölf Silmo d’Or Awards absolvierten Silmo-Präsidentin Amélie Morel und ihre Mitstreiter zum zweiten Mal direkt auf der Messe: mit großer Bühne, Scheinwerferlicht, Showeffekten, französischem Chic und Champagner.
Doch bei aller herrlichen Begeisterung bei den Ausgezeichneten, ihren Fans und dem gesamten Publikum dachte man auf einmal an die Zeiten, als das Ereignis Silmo d’Or noch an spektakulären Orten mitten in Paris so zelebriert wurde, dass es einem den Atem verschlug, weil alles so sensationell war. Mögen solche Spektakel in Zeiten von Ressourcenknappheit und Bewusstsein für Verantwortungsethik auch nicht mehr zeitgemäß sein, man vermisst sie doch. Die nächste Silmo wird mit Sicherheit stattfinden – vom 29. September bis 2. Oktober 2023.
/// Jueb
Brillen auf der Silmo, die auffielen …
Aufklappbares Design
Besser spät als nie: Mit dem erstmals ins Leben gerufenen „Optical Design Contest“ gab die Silmo sieben Designstudentinnen und Designstudenten die Chance, ihre Vision für die Augenoptik – sei es Brillenfassungen, Kontaktlinsen, vernetzte Objekte oder augenoptische Geräte – als Prototypen einer Jury unter Designer Emmanuel Gallina vorzustellen. Der in Paris ausgezeichnete Entwurf stammt von Adi Abramov aus Tel Aviv, der mit seiner Brille „Unfoldable“ (aufklappbar) überzeugte: „Meine Fassung kommt ohne Scharniere und Schrauben aus, wird aus recyceltem SLA hergestellt und ermöglicht einen „X-förmigen“ kinderleichten Schnellverschluss. Das minimalistische Design soll eine einfachere Herstellungsmethode ermöglichen, die industrielle Fließbandprozesse und den unnötigen Einsatz von Materialien und Technologien reduziert.“ /// www.adiabramov.com
Design fürs ganze Leben
Poplar Shade ist ein gemeinnütziges Unternehmen mit ökologischem und sozialem Engagement, gegründet von dem jungen italienischen Designer Ian Devercelli. Die Federstahl-Brillen von Mykita haben ihn einst inspiriert, jetzt stellt er handgefertigte Fassungen aus biologisch abbaubaren, hochwertigen Materialien wie Büffelhorn und Bioacetat in limitierter Auflage her. Designt und produziert wird ausschließlich in Italien. Die Fassungen sollen, so die Vision, ein Leben lang halten.
Auf der Messe war der temperamentvolle Italiener einer der Publikumslieblinge, auch deshalb, weil er vor den Augen der Besucher vorführte, wie viele Arbeitsschritte es braucht, bis seine handgefertigte Brille ihre Perfektion erreicht hat. /// www.poplarshade.com
Design for kids
Mehr als ein Jahr ist es her, da portraitierten wir das 2015 gegründete Label Odette Lunettes mit der Headline „Belgisch, rebellisch, glamourös“ (eyebizz 5.2021). Zeitloses Design mit kantigem Touch und kühner Form, so stellten wir damals die kleine, unabhängige Marke vor. In Paris gewann die Gründerin, die belgische Ex-TV-Moderatorin Eline De Munck, einen Silmo d’Or in der Kategorie „Kinderbrille“. Die prämierte, markante Fassung wird im 3D-Druck-Verfahren aus Pulver hergestellt, das aus Rizinussamen gewonnen wird, und ist mit einem Sonnenclip ausgestattet, der sich in Aussparungen auf beiden Seiten des Gesichts einfügt. Die „Cadet-Linie“ ist für 8- bis 12-Jährige. /// www.odettelunettes.com
Design mit Titan-Effekt
Große Freude bei Daniel Liktor, Managing Director von Neubau Eyewear, und seinem Team. Das österreichische Brillenlabel wurde in Paris mit dem diesjährigen Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.
Die Modelle Xenon und Neon der Special Edition „Transition“ zeigen sich mit futuristischem Design, verspiegelten Gläsern und kontrastreicher Farbgebung. Die Sonnenbrillen werden im 3D-Druckverfahren aus dem zu 100 % pflanzlichen Material natural3D hergestellt. Der letzte Schliff ist ein lineares Titanelement, das einen faszinierenden Akzent setzt. /// www.neubau-eyewear.com